Samstag, 23. März 2013


22.3.2013, Hatschtag 14, Mevo Beitar / Ein Kobi - Jerusalem (ca 20-25 km)


Jetzt ist es wirklich soweit:

"Ich freue mich, als man mir sagte: "Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern.". Schon stehen wir vor Deinen Toren, Jerusalem. (...) Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit."
 (Psalm 122 (121) - Wallfahrt nach Jerusalem)

Es geht los um 7:30. Josef, der Taxifahrer, setzt mich an der Quelle Ein Kobi ab, dort wo ich gestern meinen Hatsch in die heftige Kobischlucht abbrechen musste. Auf geht's !

Der Weg hinab in die Kobi-Schlucht, den ich mir gestern abend 30 min vor Sonnenuntergang erspart hatte, erweist sich als keine Enttäuschung. Man folgt einem zugewachsenen Flussbett steil abwärts, über Felsblöcke und Geröll. Nein, nicht rollstuhltauglich. Dschungelabenteuer.  






Stehe jetzt unten in der Kobi-Schlucht und bin gespannt, was als nächstes kommt. Irgendwie muss ich ja den ganzen Schamott, den ich grad runtergeklettert bin, bald mal wieder raufhatschen. Weiter geht's.

Unten in der Schlucht angelangt, verstehe ich, warum der INT immer wieder Umwege über bestimmte landschaftlich reizvolle Gegenden macht: Es ist saumäßig schön, dieser Wadi. Alles voller Pinien und Eukalyptus. Morgensonne. Der Wind raschelt sachte in den Blättern - ein Traum. Noch niemand ist hier unterwegs zu dieser frühen Stunde. Du bist als Pilger allein mit Deinem Schöpfer. Unten im Tal, wo das trockene Flussbett des Nahal Refaim liegt, verläuft auch das Gleis der alten Jerusalem-Eisenbahn.

Bin gespannt auf den laut - provokant nüchternem - INT-Führer "strenuous ascent" aus dem Tal raus.

Bin bis jetzt nur einem einzigen Mountainbiker begegnet. Sonst keiner Menschenseele.







Diese letzte Etappe heut ist Abenteuer pur: ich werde den INT und damit die beschriebene Strecke bei Even Sapir verlassen. Ich habe danach keinerlei zusammenhängende Beschreibung mehr, keine Kilometerangaben etc. Ich kann nicht mal sicher sagen, ob die Strecke bis zur Grabeskirche an einem Tag zu schaffen ist oder nicht. Oder ob die Grabeskirche zur Stunde meiner Ankunft überhaupt noch offen hat. Wäre echt schade, wenn nicht.

Habe mir vorgenommen, heute abend in die Altstadt von Jerusalem einzumarschieren, koste es was es wolle. Kann eine ziemlich sture Pilgerseele sein. Hab eine Stirnlampe mit, falls nötig. Wird ja zivilisiert und bewohnt sein, die Gegend, also keine Bange. Sorgen hab ich nur, weil die Stadt hermetisch abgeriegelt ist mit Stacheldraht, Zäunen und Polizeicheckpoints - angeblich, damit keine Palästinenser aus der West Bank hineinkommen. Auch die Highways in die Stadt sind links und rechts mit Stacheldraht gesichert wie der Korridor durch die DDR damals.  

Habe meinen Rucksack dabei, aber nur abgespecktes Gepäck: Wasser, Essen, das Wichtigste für Notfälle. Klamotten, Zelt und Schlafsack lüften gerade im Hospiz aus. Das Gepäck fühlt sich an wie nicht vorhanden. Herrlich!!






Gerade haben mich 5-6 perfekt ausgerüstete Langstreckenläufer überholt, mit professionellen Salomon-Trail-Schuhen, Trinksystemen etc. Richtig coole, gutgelaunte Typen! Einer erzählte mir beim Stichwort, wo ich herkomme, gleich von seiner Teilnahme am Berlin Marathon. Konnte mit dieser Story mithalten - den Berlin Marathon bin ich schon 3x gerannt. Gottseidank hat er mich nicht nach meiner - armseligen - Zeit gefragt...

Der nächste Läufer fragte mich, ob ich ihm (wegen seines extremen Hobbys) einen guten "Shrink" (Psychotherapeuten) empfehlen kann. :-) Hab mich ihm laufenderweise angeschlossen und mit ihm im Laufen weitergeplaudert. Ich KANN nicht stillstehen und zuschauen, wenn Läufer vorbeikommen. Geht nicht. Egal, wie ich's versuche.

Die laufen hier eine lockere Trainingseinheit von 30 km. Verstehe: Ultras. Einer von den Läuferkollegen hat mich in einen Plausch verwickelt. Er stammt ursprünglich aus der Ukraine und hat in Wien an der WU studiert. Wir kannten zum Teil die gleichen Profs in Wien. Er beschwert sich allen Ernstes, dass man in Israel nicht ordentlich auf Ultraläufe trainieren kann, weil es gegen mittag immer viel zu heiß wird. Also muss man schon um 5:00 früh loslaufen. Wohlgemerkt, um die nächsten sieben (!) Stunden laufend zu verbringen...
Wir sprechen tatsächlich 3 Sprachen gemeinsam, wie wir ausprobiert haben. Und weil wir gar so vertieft ins Gespräch waren, hab ich meine Abzweigung auf den "strenuous" Pass verschwitzt. :-) also hatsch i wieder zurück.






Ok, die haben im INT-Führer wirklich nicht zuviel versprochen. Das WIRD strenuous. Es geht ordentlichst die Wand rauf, über Felsen und Abhang. Yes!

Hab ich's schonmal erwähnt? Das war Wildwasser Stufe IV, aufs Bergaufhatschen übertragen. Wow.

Weiter geht's auf einem entspannten Forstweg, hoch über dem unglaublich schönen Tal des Wadi "Nahal Refaim".

...Und wieder runter, und wieder rauf...

Das Höhenprofil des INT hat frappierende Ähnlichkeit mit dem Aktienkursverlauf eines TecDax-Unternehmens.

Wenn man den INT gehen will, muss man entweder Steigungen lieben oder sich selbst ziemlich hassen.

Daher: Wenn ich künftig die Worte lese "und sie gingen nach Jerusalem hinauf" wird da immer auch etwas von der Passionsgeschichte mitschwingen. Automatisch.






An einem der Quellen-Pools, die sich hier auf den Anhöhen vor der Hl. Stadt befinden, sitzt ein Shvilisten-Opa - ein Nackabatzl wie Gott ihn schuf - und entspannt sich vom Hatschen. Wer's mag. Die gemischt-geschlechtlichen Israeligruppen, die nach mir an ihm vorbeigehatscht sind, hat's eher leicht irritiert. Mich hat's auch gewundert. Ist ja der Nahe Osten gemeinhin nicht als Pfuhl hedonistischer FKK-Sinnenfreude verschrieen.

Wieder einmal kommt - angekündigt durch immenses Kreischen schon Minuten vorher - eine Truppe orthodoxer Jugendlicher vorbei, ca 7 Männlein & Weiblein stark, von denen kein einziger etwas anders als Hebräisch spricht. Gilt das Erlernen fremder Sprachen bei denen als unreines Teufelszeug? Wie kommunizieren die mit den Arabern im eigenen Land? Gar nicht?

Bissige Bemerkung am Rande: Ich finde, es ist kein Wunder, dass die radikalste Partei der Ultraorthodoxen den treffenden Namen "Schas-Partei" trägt. :-)


In der Ferne sieht man schon das sicherlich in der Medizinercommunity bekannte Hadassa Medical Center. Ein riesiges Hochhaus mit Blick in die herrliche Berglandschaft voller ehemaliger Terrassengärten. Von denen sind einige laut INT-Führer sage und schreibe 6000 Jahre alt!

Jetzt setzt ein echter Sandsturm ein. Der Wind bläst ordentlich. Die Täler um Jerusalem versinken in Staubnebel. Krass. Binde mir mein Arafat-Tuch wie ein palästinensischer Steineschmeißer - bzw. wie ein Beduine - um den Kopf, damit das Gesicht geschützt ist.




Ich sehe die erste christliche Kirche, auf dem Berg über mir. Müßte Maria Heimsuchung (Church of the Visitation) sein. Bin gespannt. Laut GPS hab ich noch knapp 10 km bis zum Heiligen Grab. Und 5h bin ich schon auf den Beinen. Hunger macht sich breit. Und das ausgerechnet jetzt, wo der Sabbat beginnt und nicht damit zu rechnen ist, dass mal schnell von links ein Falafelladen in Reichweite kommt.

Bin gerade zur Kirche Maria Heimsuchung hochgehatscht. Leider machen die erst wieder um 14:30 auf, da muss ich aber schon wieder unterwegs Richtung Grabeskirche sein.

Immerhin schreibt Wikipedia:

 "Die Kirche wurde über dem Elternhaus und Geburtsort Johannes des Täufers errichtet und damit an der Stelle, wo Maria und Elisabeth einander begegneten und Maria das Magnifikat anstimmte (Lk 1,39-56 EU ). Die Kirche hat eine natürliche Grotte, die bereits in byzantinischer Zeit zu einem Ort der Anbetung wurde. 638 wurde die Unterkirche errichtet. Die Franziskaner kauften 1679 den Ort, und nach fast zwei Jahrhunderten Wartezeit bekamen sie von der osmanischen Herrschaft die Erlaubnis zum Wiederaufbau der Kirche. (....)"

- Na, das sind mal gründliche Genehmigungsverfahren. Und bei uns regt man sich auf, wenn ein Verwaltungsverwahren mal länger als 2 Wochen dauert...

Der hungrige Pilger erspäht - leider nur - eine Brasserie, direkt neben dem Marienbrunnen. Was ich jetzt nicht brauche, sind in Senf gegarte Wachteleier mit Froschschenkeln oder was ähnlich grausames, in 18 endlosen Gängen serviert. Ah! Sie haben Hamburger auf der Karte - und schon sitz ich drin!

Der Burger war fein. Als hätten ihn die Welschen erfunden. Ganz vorbildlich. Und jetzt heißt's wieder auf, auf nach Jerusalem! Bevor ich Gehörstürze krieg von der ungenießbaren, melodiefreien Hipster-Chill-Out-Musik, die hier aus dem Radio kommt.

Durch die französisch-amerikanische Slow-Food-Pause komme ich gerade rechtzeitig, weil die Visitatio-Kirche (Maria Heimsuchung) gerade aufmacht. Hier also besuchte die schwangere Muttergottes Elisabeth, die ihrerseits Johannes den Täufer im Leib trug. Hier hörte die Menschheit erstmals das Magnificat.  

Weiter geht's. Vom Viertel En-Kerem ins Viertel Be't Hakerem. Nette Gegenden. Sabbat ist ausgebrochen mit aller Brutalität. Nix los. Nicht mal ein Hund hängt jetzt tot übern Zaun. Alles ausgestorben. Nicht mal Penner gibt's - die machen am Sabbat auch Pause. Der Nackerbatzl-Opi von der Quelle heute könnte bedenkenlos durch die Straßen chargieren. Niemand würde Notiz davon nehmen.

Mit mystischem Wüstenstaubnebel über der Stadt, bisweilend beißend kaltem Wind und unter der Stimmung der ausgestorbenen Stadt bin ich weitergegangen, Schritt für Schritt, Stadtviertel für Stadtviertel.

Jetzt hab ich's geschafft: Ich bin tatsächlich den letzten Meter bis zur Grabeskirche gehatscht. Mein Pilgerziel im Heiligen Land ist erreicht. Ich werd ein bissl Zeit brauchen, bis ich alle Gedanken sortiert habe, die mir grad durch den Kopf gegangen sind.






Gottseidank hat heute die Grabeskirche länger offen, so dass ich keine echte Eile hatte auf den letzten Kilometern. Heute machen sie um Mitternacht die Grabeskirche wieder auf. Wenn ich da vor Müdigkeit noch stehen kann, werde ich vielleicht ohne Touristentrubel eine Art Nachtwache machen, wie die mittelalterlichen Pilger am Ziel ihrer oft monatelangen Wallfahrt.

Meine Füße tun ordentlich weh. Gut, dass das jetzt am letzten Tag so arg ist und nicht schon vorher. Heute während meiner selbst gewählten "Ehrenetappe" in die Heilige Stadt hinein hab ich ordentlich Meilen gemacht, war von 7:30 bis 17:30 auf den Beinen, mit nur einer Stunde Mittagspause. Und da waren saftige Steigungen dabei. Das muss man echt mögen.

Ich muss sagen, dass ich insgesamt einen äußerst fleißigen Schutzengel an jedem Tag, auf jedem Meter meines Pilgerweges durchs Heilige Land hatte. So viel hätte schief gehen können - und ist nicht. Krankheiten und Abnutzungsprobleme, die ich mir auf früheren Pilgerwegen durch Spanien eingefangen hatte, haben einen Bogen um mich gemacht. Meine wertvollste Sache, meine Füße, haben bis zum Ende mitgemacht, obwohl sie anfangs beim Gehen merkwürdig geschmerzt haben.

Hier mein kurzes, erstauntes Résummée:


  • So viele Steine liegen im Hl. Land auf den Wegen... Und keiner davon hat mich zu Fall gebracht (und umgeschnacklt bin ich oft).
  • So viele Leute laufen im Hl. Land schwerbewaffnet herum... Und keiner davon hat mich bedroht.
  • So viele Gewalttäter leben im Hl. Land ... Und keiner wollte mir was böses tun.
  • So viele Schlangen, Skorpione und Hyänen leben im Hl. Land ... Und nichts davon kam in meine Nähe.
  • So viele Menschen mit Ressentiments gegen Christen oder gegen Deutsche leben im Hl. Land ... Und keinem davon bin ich begegnet.
  • So viel verdorbenes Essen wird im Hl. Land serviert ... Und keines davon hat mich außer Gefecht gesetzt.
  • So viele Tage mit Rekordtemperaturen oder Regen gibt es im Hl. Land ... Und keiner hat mir das Weiterpilgern beeiträchtigt.
  • So viele Möglichkeiten gibt es im Hl. Land, seinen Weg zu verlieren - und mir ist es weiß Gott wie oft passiert, aber nie so, dass ich mir hätte Sorgen machen müssen.







"Fallen auch tausend zu deiner Seite, dir zur Rechten zehnmal tausend, so wird es doch dich nicht treffen. (...) Denn der Herr ist deine Zuflucht, du hast dir den Höchsten als Schutz erwählt. (...) Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt; du schreitest über Löwen und Nattern, trittst auf Löwen und Drachen." (Psalm 91)

Es hat sich bewährt, sich nicht zuviel Sorgen zu machen und stattdessen einfach loszugehen. Das kann ich auch nur allen raten, die sich mit dem Gedanken tragen, eines Tages auch Pilger zu werden: Schuhe schnüren, Rucksack packen und los. Jedes Abwägen, jede Bedenkenträgerei, jede Bedenkzeit wird dazu führen, dass man eher gar nicht losgeht, weil der Mut fehlt. Der Zeitpunkt ist NIE perfekt. Rein in's kalte Wasser!

"Abbiate sempre coraggio!"
('Seid immer mutig!', Papst Johannes Paul II)

Jetzt sitz ich grad in einer arabischen Teestube bei einem feinen Schwarztee mit frischer Minze (arabisch-typisch mit viel Zucker) und erhole mich von dem langen Tag und von dem 3-wöchigen Hatsch.

Mein Traum von der Nachtwache am Heiligen Grab hat sich leider soeben zerschlagen. Obwohl hundemüde, bin ich gegen 1:00 früh noch durch die verlassenen, verwinkelten und leicht gruseligen Gassen der Jerusalemer Altstadt geirrt, um zur Grabeskirche zu gelangen. Leider war der ganze Vorplatz mitsamt der St. Helena Straße abgesperrt. Schade. Jetzt wird erstmal ausgeschlafen.

Ich bin mir sicher, dass ich mein Leben lang an diese Pilgerreise nach Jerusalem denken werde.
Psalm 137 schreibt: 

" Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren. Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich an dich nicht mehr denke, wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe." -

Ich hoffe, dass die doch etwas drastische Gedächtnisstütze nicht nötig sein wird. - Die Zunge ist mir ja außerdem auf dem Weg hierher schon oft genug am Gaumen geklebt. :-)


Ca. 300 km sind geschafft!


Ankommen ist etwas schönes. Steigert nämlich die Vorfreude auf das nächste Aufbrechen, Inch'Allah.
  
ﺍﻟﺴﻼﻡ ﻋﻠﻴﻜﻢ (as-salāmu ʿalaikum)
(Shalom) שלום
& God bless you!

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