Donnerstag, 14. März 2013

11.3.2013, Hatschtag 4: Mitzpe Ramon - Hava Night Camp (Negev)

Leider hat keiner der ca 10 Gäste in der Backpacker-Herberge die Absicht, ebenfalls durch den Negev nach Norden zu hatschen, so dass ich mich auf eine riskante Solomission einstelle. Yoash, der Herbergs-Chef, bequatscht aber einen 57-jährigen italienischen Backpacker namens Francesco, nicht wie geplant nach Süden Richtung Eilat zu hatschen, sondern sich mir auf meinem Wüstentrip nach Norden Richtung Arad und schließlich Jerusalem anzuschließen.

Francesco aus bella Trieste, 57 J., stellt sich als der Traum eines Mitpilgers heraus: Ebenso wie ich begeisterter Reserveoffizier, aus einer Spezialeinheit der italienischen Gebirgsjäger (Alpini), ebenfalls als religiös motivierter Pilger schon mehrmals auf dem Camino de Santiago, Foto-Freak, der am liebsten alle 3 Minuten stehen bleibt, um die atemberaubend schöne Wüste zu fotografieren, ebenfalls ein passionierter Schmähtandler, dem laufend die witzigsten Schmähs einfallen, in topfitter Hatsch-Kondition, Schnellgeher, ebenso ein passionierter Gearhead, der wirklich jedes Stück seiner Ausrüstung durch eigene Modifikationen ge-upgraded hat. War als Soldat im Balkan an der Jagd auf Milosevic beteiligt und hat auch sonst allerhand spannende Militärgeschichten auf Lager.




 Wegen der "Heatwave coming in on Wednesday until Friday" mit Temperaturen wie im August bin ich etwas "uneasy". Aber es hilft nix, zur Not muss ich halt während der gröbsten Tage aussetzen.

Recht bald nach dem Loshatschen aus Mitzpe Ramon treffen wir schon auf Mithatscher: Tomer und Sivan, ein super eingespieltes israelisches Pärchen, die den gesamten INT von Eilat im Süden bis zu den Golanhöhen im Norden durchhatschen. Die beiden sind eine Wucht: Unglaublich nett, knackbraun und wie so viele ihrer Landsleute durchaus ansehnlich, extremst fit, hervorragend informiert und echte Wüstentiere. Haben schon ca 200 km durch den Negev auf dem Buckel. Wir werden ihnen ab jetzt öfters begegnen. Da es nur einen Weg gibt, kommt man sich nicht aus. Und obwohl Francesco und ich die schnelleren Hatscher sind, machen wir beiden Genusspilger wohl zu viele Fotopausen, so dass die beiden Israelis nie allzu weit von uns entfernt sind.

Zum eigentlichen Wüstenpilgern kann ich nicht sehr viel schreiben, da werden meine Bilder mehr aussagen.

Die Wüste ist unbeschreiblich schön. Der Weg führt durch Wadis, Canyons, über Stock & Stein, begauf und bergab. Man sieht für Stunden keinen einzigen Baum, der Schatten spenden würde. Francesco teilt meine Ansicht, als wir schweißüberströmt auf einer Anhöhe die Aussicht auf einen überirdisch schönen Canyon genießen: "Die meisten Menschen werden das nie verstehen, warum wir uns das antun."




Mittagspause machen wir bei 35 Grad unter einem der seltenen Sträucher. Francesco spannt seinen Poncho auf, um mehr Schatten zu haben. Eine Wohltat. Richtigen Mittagshunger hab ich nicht richtig. Statt einem warmen Essen gibt's Doritos-Chips (meine erste Wahl fürs Pilgern in der Hitze: Leichtgewichtig, viele Kalorien, voller Mineralien und Salze), eine Erdnussbutter-Pita und viel Wasser. 6 liter hat jeder von uns dabei, 4 liter davon trinken wir während des Marschs.

Die Hatscherei mit dem Rucksack mit den 6kg Wassergewicht plus Nahrung ist bei Gott kein Spaziergang. Vor allem wegen dem gerölligen Terrain, den vielen Steigungen, dem Fehlen jeglichen Schattens und dem Windmangel. Aber hinter jeder Kurve, jenseits von jedem erklommenen Hügel, tun sich atemberaubende, unbeschreiblich schöne Landschaften auf, die meinen Kameraden Francesco und mich einfach umhauen in ihrer Pracht.

Die Wüste kommt mir heisser vor als der Camino de Levante mir über 40 Grad, zT 45 Grad im Schatten (mein persönlicher Hitzerekord in der Nähe von Valencia im August 2009).

Wir kommen viel früher als erwartet schon um 16:00 am Ziel-Nachtlager an. Die Nachtlager ("Night Camps") im Negev sind nichts anderes als in der Karte offiziell ausgewiesene flache Stellen in der Wüste, ohne alles. Kein Schild markiert das Night Camp, keine Quelle sprudelt munter, um den durstigen Pilger zu erquicken, nichts lenkt von der Wüsteneinsamkeit ab oder suggeriert so etwas wie Zivilisation oder gar Luxus. Außerhalb der Night Camps darf man in diesem Naturparkt nicht campen. Ranger kontrollieren das angeblich.




 Bereits in Mitzpe Ramon haben wir Kontakt mit einem Dienstleister aufgenommen, der gegen Bezahlung für die Wüstenwanderer an den Night Camps Verstecke mit Wasserflaschen anlegt, da man das viele Wassergewicht auf den Mehrtagesetappen durch die Wüste ohne Zwischenstopp an einer Wasserstelle gar nicht tragen könnte. Wenn man also weiß, das man die Nacht auf sich gestellt ohne Wasserzugang mitten in der Wüste verbringen wird, dann ruft man vorher den Wasser-Man an, der entweder bereits entsprechende Verstecke ("caches") im Rahmen einer Tour mit seinem Allradfahrzeug angelegt hat oder sie auf Wunsch anlegt, und einem dann die genaue Beschreibung des Verstecks durchgibt. Man hatscht dann mit ca 6 l Wasser in die Wüste hinein, schlägt mitten drin sein Lager auf, gräbt den benötigten Wasservorrat aus und schafft mit diesen zusätzlichen 6 litern den Weg aus der Wüste zur nächsten Zivilisation. 10 solcher Stellen befinden sich zwischen Eilat und Arad. Nördlich von Arad ist das Wasserversteckanlegen nicht mehr erforderlich.
Soweit so gut.


Unser Wasser-Man hieß Chaim und er hat laut eigener Aussage bereits auf unserer Route Wasserverstecke angelegt, die für 2 Personen reichen, dh 12 liter. Wir bekommen seine Handynummer und sollen ihn um ca 16:00 anrufen, damit er uns die Beschreibung des Fundorts durchgibt. Bis dahin ist er "busy" und "in meetings", was immer das bei einem Wasser-Man bedeuten mag.

Problem dabei: Wir kommen immer näher an den Standort des Night Camps, und haben seit Stunden keinen Handyempfang.

Erst als wir tatsächlich die letzte Anhöhe zum Bight Camp erklommen haben (eine echte Plackerei nach einem langen Wüstentag), hab ich wieder ein Handynetz. Und es ist just 16:00, als wir ankommen. Also schnell das Handy raus und nachgefragt, wo das Wasser versteckt ist. Böse Überraschung: Chaim geht nicht ans Telefon. Erst nachdem wir unsere Zelte aufgebaut haben und uns gedanklich schon über das Abendessen hermachen (gekocht wird erst, wenn die Wasserversorgung steht, alles andere wäre zu riskant), ruft Chaim dann doch noch an. Es ist ca 17:00 und die Sonne geht bald unter, das heißt: Es eilt, wenn wir noch was finden wollen in der Wüste!

Chaim beschreibt uns in schwerfälligem Englisch und sehr mißverständlich und umständlich den angeblichen Ort, wo die 12 liter versteckt sein sollen: Geht erst wieder den Abhang runter, wo ihr raufgekommen seid (dankeschön), dann stehen linkerhand 2 sargförmige (???) Steine, und gegenüber geht eine kl. Gasse zwischen etwas wie eine Steinmauer hinein. So, und jetzt wünsche ich frohes Wassersuchen in der abendlichen Geröllwüste inmitten lauter "sargförmiger" Gesteinsformationen.




Kurz vor Einbruch der Dunkelheit und mit den Nerven schon reichlich am Ende finde ich tatsächlich das Versteck: Plastik-Wasserflaschen wurden in die Spalten zwischen größeren Gesteinsbrocken gesteckt. Der Haken dabei: Fast alle der Flaschen sind entweder komplett leergetrunken oder beschädigt und fast leer!!

2. Runde: Anruf bei Chaim, was mit seinem Versteck los ist. Er: Da haben offenbar andere Wanderer Euer Wasser weggetrunken. Na schönen Schrank. Unsere Nerven liegen langsam blank. Und jetzt?

Chaim behauptet, ein weiteres Notversteck zu haben und führt uns per Handy bei ständig abbrechendem Empfang und mittlerweile in der Dunkelheit in die komplett andere Richtung, knapp an einem Abhang zu einem Canyon. Mit Müh und Not entdecke ich das Wasserversteck in einem großen Loch im Stein. Wieder sind fast alle Flaschen leer oder fast leer, weil beschädigt.

Unglaublich, wozu man fähig ist, wenn man in der Wüste ist und die  Wassermangel im Nacken sitzt: Mit meinen Badelatschen, Short und freiem Oberkörper machte ich mich mit Francesco auf die Suche nach dem Wasserversteck. Ob ich auf einen Skorpion treten könnte, ist für mich derzeit absolut tertiär. Ich muss tief in die Spalten zwischen Felsen reingreifen, um an die letzten dort versteckten Wasserflaschen zu gelangen. Wenn sich dort eine Schlange versteckt? Keinen Gedanken verschwende ich daran. Gottseidank hat Francesco längere Arme, und er kann die letzte volle Flasche ergattern, die so weit hinten im Loch lag, dass sie kein anderer Wanderer ausräubern konnte.

Grade mal ca 2 l für jeden können wir einsammeln, was uns beide höchstwahrscheinlich aus der Wüste hinausbringen sollte.

Da schießt es mir durch den Kopf: Hatte das israelische Pärchen nicht erwähnt, dass sie auch ihr Wasserversteck durch Chaim zugewiesen bekommen werden? Was ist, wenn das das gleiche - nunmehr leere - Versteck ist? Dann reichen die paar Flascherln definitiv nicht, um 4 Mann aus der Wüste herauszubringen!

Und wo in aller Welt stecken die beiden Israelis? Ich mache mir ernsthaft Sorgen, denn sie wissen als Profis, dass man nach Einbruch der Dunkelheit niemals in der Wüste rumhatscht, das ist wegen der plötzlichen Abgründe, der schwierigen Orientierung und wegen allerhand Fauna viel zu gefährlich.




Um 18:30 tauchen sie dann auf. Und haben die niederschmetternde Nachricht, dass auch ihr Wasserversteck dasjenige sein sollte, das so git wie leer war und jetzt komplett leer ist. Was tun?

Sie bleiben bemerkenswert cool und rufen Chaim an. Der führt nun am Telefon Tomer, verstärkt durch mich, auf eine wirklich abenteuerliche Suchaktion abseits von jeglichem, was der Orientierung dienen könnte, durch die rabenschwarze Wüste, Abhänge hinunter und zu Höhlen.

Dort finden wir - Gott sei Dank - in einem Reserve-Reserve-Notversteck ausreichend viele volle und intakte Wasserflaschen, die wir gleich zu den beiden Zelten schleppen.

Ich versuche, das fragwürdigeWasser, das aus den löchrigen Flaschen stammt, zu entkeimen. Gratuliere: Von meinem Aquamira 2-Komponenten Wasserentkeimungsmittel ist eine der beiden Flaschen ausgelaufen. Damit kann ich's insgesamt wegschmeißen. Gottseidank hab ich ein Backup dabei: Den genialen, ultraleichten Sawyer Squeeze Wasserfilter (57 g), der nicht auf das Gewinder der Platypus Wassersäcke draufpasst. Und erst recht nicht auf die israelischen Wasserflaschengewinde. Mist. Hätte einen der ca. 3 g leichten mit dem Filter mitgelieferten Wasserbeutel mitnehmen sollen. Wir trinken also das in der Wüste gefundene Wasser so wie es ist: Naturtrüb. Nein, natürlich ist es klar, aber wir wissen halt nicht, welche Fauna sich wegen der Löcher in einigen Flaschen so im Wasser tummelt.

Bis nachts fliegen Blackhawk-Hubschrauber der IDF mit ausgeschalteten Positionslichtern in niederer Höhe über die Wüste. Die Präsenz des Militärs ist stets zu spüren. Auch durch Geschützdonner aus der Ferne. Der Naturpark ist von Übungsgelände umgeben. Ein Abkommen vom Weg kann wegen der Übungen im scharfen Schuss äußerst unangenehm werden.



Die israelischen Mithatscher haben viel genauere Informationen über den zu erwartenden Temperaturverlauf und die Hitzewelle. Nach ihrer Information sind wir bereits mitten in der Hitzewelle. Am Freitag ist dann der absolute Höhepunkt zu erwarten mit ca 37 Grad.
Offenbar hat Yoash nicht die Wettervorhersage für das zu durchquerende Gebiet abgefragt, sondern - wie mir Francesco erzählt - von Eilat. Und dort wird die Hitzewelle offenbar ein paar Tage später erwartet als hier, wo sie bereits ordentlich brodelt.

Eigentlich machen mir 37 Grad nix aus, das weiß ich aus Erfahrungen mit der Pilgerei durch einsame Gegenden Andalusiens mit meinen Freunden Fraasinger und Christoph im Hochsommer. Aber (künftig) allein unterwegs und im Negev, das ist dann schon eine andere Risikoklasse. Ich merke deutlich, dass Israelhatschen nicht mit Spanienhatschen vergleichbar ist, auch wenn man sich's in den Vorjahren in fast jedem Sommer noch so derb auf allen Caminos gegeben hat.

Mein Schlaf ist äußerst tief und fest, nach diesem eher turbulenten und extrem anstrengenden Tag. In der Früh werde ich von knackigen Windböen geweckt. Mein Zelt fliegt mir fast um die Ohren.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen