Mittwoch, 20. März 2013

20.3.2013, Hatschtag 12: Beit Guvrin - Eziona Junction (ca. 20 km)

Bombig! Der Tag beginnt gleich mit einer Katastrophe: Habe beim Einpacken heute eine meiner beiden orthopädischen Schuheinlagen vergessen. In meinen Schuhen stecken gerade meine Wechselsohlen aus Silikon, weil die nämlich weniger auf die - leider wieder nachgewachsene - Blase (sog. blasa recidiva) drücken. Wechselsohlen mitzunehmen hat sich extrem bewährt. Wäre einen eigenen Gear-Report wert. Heute mit den Silikonsohlen zB. sind auch die quälenden Hüftschmerzen von gestern wieder weg. Einfach neue Sohlen reinmachen und es fühlt sich an wie ein neues Paar Schuhe.



Gottseidank sind meine "Zimmer"-Vermieter echt der Traum. Ich rufe sie an und sie bringen mir lieberweise meine vergessene Sohle zur Hauptstraße gleich neben dem INT. Unglaublich, wie hilfsbereit die sind. Extra-Hatsch-Kilometer kostet mich das nicht, aber leider viel Extra-Zeit.

Die Hauptstraße 38, wo ich gerade warte, war bereits in der Antike die Verbindung zwischen Askalon (bekannt durch das beliebte Lied vom schwarzen Walfisch) und Jerusalem.




Die Hauptverkehrsstraße zur Zeit Jesu war wohl die Via Maris, über die Jesu Familie auch nach Ägypten geflohen ist. Die Flucht der Hl. Familie nach Ägypten birgt reichlich Inspiration für künftige Pilgerwege - sobald sich in Ägypten das Volk mit seiner Arabellion wieder beruhigt hat. Es wirkt dort seit geraumer Zeit wie die berühmte mexikanische Partei, die mehrere Jahrzehnte an der Macht war: Partido de la Revolución Institutionalizado (PRI). Also Daueraufruhr, der einem friedliebenden Pilger, der nur fromm durch das Land wallen möchte, eher abträglich ist.




Man erkennt einen echten Pilger übrigens auch daran, dass er a) immer Hunger hat und nie angebotenes Essen ablehnen würde und b) dass er jeden Meter des Weges - aber auch wirklich jeden einzelnen - zu Fuß hatscht. Dementsprechend habe ich gerade das superlieb gemeinte Angebot von Amnon, dem netten Zimmer-Vermieter, ablehnen müssen, mich gleich noch ein paar km weiter zu fahren, um mir etwas Zeit zu sparen. Soweit kommt's noch. Hatscher-Ehrensache.

Amnon wirkt übrigens so entspannt wie kaum jemand, den ich kennenlernen durfte. Wovon er lebt? Er war früher mal der Webmaster für Israel von IBM. Dann hat er wegen dem Stress dort gekündigt und lebt jetzt von 3 äußerst hübschen "Zimmer"-Einheiten, die er mit seiner Frau, die Designerin ist, wahnsinnig geschmackvoll eingerichtet hat und an Touristen vermietet. Er wirkt zufrieden, glücklich und mit sich vollends im Reinen. Genau da will ich auch hin!





Heute werde ich auch am Tel Azeka vorbeikommen, der in der Bibel gleich zweimal eine Rolle spielt: Einmal beim Sieg des Joshua über die Amoriter - zu dieser Zeit pflegte Jahwe noch regelmäßig persönlich in das Schlachtenglück seines auserwählten Volkes einzugreifen - und einmal, als David dem Goliath, einem Activen der feindlichen Philister, eine saftige Hochquart mit der Schleuder auf das Nasenblech verpasst hat. Dies stellte selbst nach damaligem Reglement einen klar uncommentgemäßen Hieb dar. Dennoch wurde die Partie von dem Unparteiischen (Jahwe, praktischerweise in Personalunion mit dem Sekundanten der Israeliten) für ziehend befunden. Daraufhin zogen die Philister - der Corporierte ahnt es - mit gesenktem Blick in das Philisterland zurück.
Ich war noch nie in einem Gebiet unterwegs, das soviel corporative Geschichte auf engstem Raum zu bieten hat.




Abmarsch war heute um 7:30, direkt vor der Tankstelle, dem gestrigen Zielort. Jetzt ist es 9:00 und viel mehr als 3 km dürfte ich noch nicht geschafft haben. Dann sind's heute ja nur noch 22 km, haha.


Meine Zimmer-Vermieter sind übrigens auch Jakobspilger. Davon gibt's äußerst wenige in Israel, was fùr ein Zufall. Sie sind dieses Jahr wieder 10 Tage auf dem Camino Francés unterwegs. Ich wünsche ihnen alles gute und "buen camino" bzw. "happy trails".

Habe jetzt mein Bedürfnis an Tels und Hirbets weitestgehend gestillt. Der INT führt hier nur noch hügelauf, hügelab, immer wieder 200 hm rauf, 150 hm runter und das gleiche nochmal von vorn.... Die Landschaft ist so bergig wie das Voralpenland. Und dabei bin ich noch nicht mal im Bergland von Judäa.

Waren die Fliegen gestern nervig, sind sie heute grauenhaft.

Meine Erfahrung: Orthodoxe Jüdinnen schauen meist bleich und leicht säuerlich in die Landschaft. Ihr bärtiger Gatte daneben tut es ihnen zumeist gleich. Ein Lächeln kommt ihnen nur selten aus. Ich merke mittlerweile oft schon am leicht reservierten Verhalten, wenn eine Dame orthodoxe Jüdin ist - wie die, die mir grad begegnet ist mit kleinen Kindern. Abgesehen davon tragen sie in der Regel Tücher um die Haare, was das Aussehen leider unseren deutschen Ökomuttis annähert. Sie selber bezeichnen sich nicht als "orthodox" sondern als "religious people" - was ja m.E. die aufgeklärteren Juden quasi als areligiös stigmatisiert.








Ich war grad wieder der Star-Shvilist: Erst kommen mir auf dem einsamen, wunderschönen Wegstück von Tel Goded nach Tel Azek zwei israelische Mitshvilisten entgegen, einen davon konnte ich ohne jeden Zweifel als Slash von Guns'n'Roses identifizieren. Wow! - Sie sind gerade auf ihrer ersten Tagesetappe und wollen bis Eilat ganz im Süden durchhatschen. Wieder mal israelische Kollegen mit 27 kg am Buckel. Beide haben lange Haare, ihre Militärzeit lag also schon einige Zeit zurück (bei uns heißen ja lange Haare: Ich geh überhaupt nicht zum Militär). Und nachdem wir unsere üblichen Shvil-Tipps und Erfahrungen ausgetauscht haben, kommt eine Pre-Army-Jugendgruppe vorbeigehatscht, allesamt lustig kreischend und mords die Gaudi. Sie machen gleich Fotos von uns dreien und sind einfach begeistert.

Der Vorteil bei israelischen Ausflugsgruppen ist: Man kann von ihnen niemals überrascht werden. Sie kündigen ihre Präsenz freundlicherweise schon von mehreren km Entfernung durch lautes Rufen, Kreischen und durch pausenlose Perma-Party an.

Es hat 27 Grad und ist wolkenlos. Hurra!

Jetzt sitz ich grad unterhalb des Gipfels des Tel Azeka, wo damals die denkwürdige Partie zwischen David und Goliath ausgetragen wurde.







Auf dem Stück bis zum Tel Azeka war noch ziemlich viel Trubel: mehrere orthodoxe Jugendgruppen veranstalteten einen Gesamt-Ausflug. Die Gaudi, die da vor den Bussen auf dem Parkplatz geherrscht hat, kann man sich, wenn man Israel noch nicht kennt, nur schwer vorstellen.

Kurz vor dem Gipfel des Tel Azeka stieß dann eine Gruppe mit ca 50 Soldaten in vollem Einsatzgepäck, Bewaffnung und mit nahezu ebensovielen Diensthunden dazu, die offenbar gerade einen Leistungsmarsch machte. Als ihr Anführer bemerkte, dass Touristen anwesend waren, befahl er, was ich wohl auch befehlen würde: Laufschritt auf den Gipfel. Und so quälten sie sich die letzten Meter hinauf. Ich bin jemand, der kann bei so einem Schauspiel nicht abseits stehen - also hab ich mich den Kameraden kurzerhand angeschlossen, samt Rucksack, und bin mit auf den Gipfel gerannt, hab die Nachzügler mit angefeuert. Herrlich. Auf dem Gipfel war die Erleichterung der Soldaten groß. Einige gaben sich High Five, andere fielen sich in die Arme. Schön. Ich bin breit grinsend weitergehatscht.

Kurz vor Zacharia merkte ich, dass ich noch Wasser organisieren muss, wenn ich heute abend wieder im Zelt schlafen muss. Also hab ich meinen Rucksack abgelegt und bin vom Gewicht befreit den Abstecher zur Tankstelle rüber und wieder zurück zum Rucksack gegangen. Hat 45 min gekostet, aber jetzt kann ich guten Gewissens zelten und kochen.

Bei dem heute noch vorhandenen Tageslicht und wegen der bereits in der Früh eingehandelten Verspätung war leider nicht daran zu denken, bis zum heutigen Etappenziel, Eziona Junction, weiterzuhatschen, ca in 5 km Entfernung. Ausserdem war das Rucksackgewicht mitsamt dem frischen Wasser fast unerträglich nach der heutigen Bergetappe.

Ich habe deshalb beschlossen, dass es kaum einen Unterschied macht, ob ich mich beim Zielpunkt in Eziona Junction mit dem Zelt in die Landschaft haue oder ob ich das gleich hier tue. Das verlängert halt die morgige Tagesetappe um ca 5 km, aber mei. Eine echte Wahl hab ich nicht, die Sonne geht bald unter.





Im restlichen Sonnenlicht suche ich mir also auf einem namenlosen Hirbet (antiker Siedlungshügel) ein halbwegs ebenes Platzerl für mein Tarptent. Perfekt ist hier oben leider kein Platz. Überall liegen Gesteinsbrocken als Reste der Siedlung, die hier vor etlichen Jahrhunderten mal stand. Dazwischen recht hohes Gras und allerhand Unkraut. Ein halbwegs gutes Platzerl finde ich dann doch und baue das Zelt auf. Im hohen Gras fällt mir die eine oder andere Spezies mittelgroßer brauner Spinnen auf, die ich noch nie gesehen habe - und das ist ein weiterer Moment, wo ich die Entscheidung für mein rundum geschlossenes Tarptent und gegen ein bloßes Tarp (eine schlichte ultraleichte Plane zum Aufspannen mit Trekkingstöcken) nicht bereue. Ich will definitiv die gesamte Fauna dieses Hirbet nicht in meinem Schlafsack haben. Ich bin ja echt ein begeisterter Zelter, Trekker und Ultralight-Freak. Aber ich verstehe die Kollegen echt nicht, die sich in tropischen oder heißen Breitengraden unter ein bloßes Tarp zum Schlafen legen. Das wäre mir echt zu riskant.

Morgen steht die letzte richtige Hatsch-Etappe auf dem Programm. Es geht von Eziona Junction nach Even Sapir / Ein Hindak (21,3 km + 5 km von heute). Es wird HEISS! Angeblich 29 Grad! Sogat abends/nachts bleibt's warm, 20 Grad. Der INT-Führer beschreibt lediglich die Strecke nach Even Sapir, wohl eine Art Vorort vor Jerusalem, und geht dann nahtlose über in die Streckenbeschreibung wieder von Jerusalem weg auf dem INT nach Nordwesten. Finde ich unpackbar. Jerusalem ist die wichtigste und heiligste Stadt Israels. Und da wird dem Shvilisten kein Wort gegönnt, wie man von Even Sapir in die Stadt reinkommt?! Stattdessen gibt's eine extrem umständliche Beschreibung des "Jerusalem Trail", der ja ein Rundweg um die Stadt ist und mich auch nicht zu meinem Ziel in der Altstadt führen würde. Echt saudumm. Ich will mich aber auch nimmer endlos ungewaschen mit Rucksack und Zelt durch die Vororte von Jerusalem quälen, die Heilige Stadt und die Grabeskirche schon vor Augen.






Ich hab daher folgendes Konzept: Ich hatsche morgen bis Even Sapir, wohl im Dunstkreis der Heiligen Stadt. Von dort lass ich mich mit dem Taxi in meine Unterkunft fahren. Dort ist erstmal duschen und Zivilisation angesagt. Und wenn ich eine Nacht im frisch gemachten Bett geschlafen hab, lass ich mich mit dem Taxi eben wieder hinaus nach Even Sapir fahren - der Rucksack bleibt in der Unterkunft - und ich hatsche entspannt die letzte Etappe in die Altstadt rein.

Und dieses schöne Haus hab ich mir in Jerusalem als Unterkunft ausgesucht:

Austrian Hospice in Jerusalem
(http://www.austrianhospice.com)

Reserviert hab ich ein Einzelzimmer von 21.3. bis 23.3. Die Adresse ist - ohne Scherz: 37 Via Dolorosa. Hätte nicht gedacht, dass das auch ein ganz offizieller Straßenname ist. Schaut Euch mal die Internetseite unter dem Stichwort "Essen" an. Da bieten die mitten im Nahen Osten allen Ernstes Wiener Mehlspeisen vom Allerfeinsten, Apfelstruderln etc. Da muss ich hin! Freu mich schon arg.

Im Schlafsack scheint es heute nicht so bitterkalt zu werden wie in der letzten Nacht im Zelt. Hoffentlich. Bis jetzt wirkt es sogar richtig angenehm (toasty). Es ist 19:30 und ich dürfte wohl bald wegpennen - so ruhig und friedlich ist es hier. Der Viertelmond scheint hell auf das Zeltdach, so dass ich sogar im Inneren Sachen halbwegs erkennen kann.

Unter meinem Hügel im Wadi Ela, da lagerten die Israeliten vor dem Zweikampf gegen die Philister.


247 km sind geschafft!

4 Kommentare:

  1. Die Beschreibung von der Partie mit David und Goliath einfach göttlich!

    Ich wünsch Dir gute letzte Kilometer und (unnötigerweise) guten Appetit für die Wiener Küche!!

    James

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  2. Austrianhospice - alles richtig gemacht! Ein Stück k.u.k.-Österreich in der hl. Stadt, wunderbarer Ausblick von der Dachterasse und die Sachertorte nicht vergessen.
    Grüß mir und uns die heilige Stadt. In Gedanken hatschen wir mit Dir.
    Aufschärfen!
    M.P.

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  3. Hi Chris,
    Danke für den interessanten Bericht, meine Reise war weniger abenteuerlich aber die Psalmen waren nicht weniger zutreffend ...
    כול תוב
    Die Apothekerin

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  4. Hi, liebe Oberlandlerin! Hat mich sehr gefreut, Deine - wenn auch kurze - Bekanntschaft zu machen! :-)
    Dir weiterhin happy trails und alles liebe!
    Chris

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