Samstag, 9. März 2013


7.3.2013: Hatschtag Nr. 2 - Cana - Arbel

Laut Aussage eines Erläuterungsschildes in der Kreuzfahrerfestung von Sepphoris befinde ich mich höchstwahrscheinlich in der Gegend, wo Jesus und seine Jünger aus Hunger am Sabbat Ähren vom Getreide abgerissen haben und dafür von den Hardlinern getadelt wurden. Jesus hatte für die Eiferei der "Streber" und ihre buchstabengemäße Frömmigkeit wenig über. Was für eine menschenfreundliche Religion, die den Menschen über die reinen Buchstaben des Gesetzes stellt. Paßt gut zum Weinwunder von Kana, das Theologen in seiner Zielsetzung anscheinend seit 2000 Jahren Deutungsprobleme bereitet. Vielleicht geht es auch dabei um die Message, dass der Mensch ruhig auch mal leben - und ausgelassen - feiern darf?

Heute hat's leider nur frisch-frostige 15 Grad. Das ist ja kaum mehr als in München, wo die Die-Hards bereits die Biergartensaison eröffnen. Immerhin scheint hier die Sonne.


Ich bin immer und immer wieder beeindruckt von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen. Oftmals Menschen, von denen ich es aufgrund meiner Vorurteile am wenigsten erwartet hätte. Als ich Cana verlasse, gibt es eine der weiß Gott zahlreichen Situationen, wo die Markierung des Jesus Trail äußerst lückenhaft ist und man erst die eine Abzweigung entlanggeht, dann die andere, um zu sehen, wo die Markierungen weitergehen. Eine traditionell gekleidete Arabermutti, mit bravem Kopftuch, konservativ angezogen, aber munter am Labern am Handy, geht hinter mir und bemerkt mein Dilemma - und ruft mir laut und deutlich auf halb Arabisch, halb Englisch, untermalt mit Händen und Füßen, den richtigen Weg zu - der alsbald durch eine Markierung bestätigt wird. Sind die hier alle so lieb und hilfsbereit? Und ich dachte, verschleierte Frauen sollte man aus Respekt gar nicht ansprechen. Hier grüßen aber eigentlich alle fröhlich zurück, wenn ich ihnen mein "Salemalaikum" oder "Shalom" entgegenrufe: Männlein, Weiblein, Schulkinder.

Anders als ich dachte, ist Shalom nicht ausschließlich ein jüdischer Gruß. Jeder verwendet ihn. Außer ein sehr merkwürdiger Deutscher, der mir bergauflaufend (?) entgegengekommen ist und der auf mein "Shalom" mit "Tag" geantwortet hat. "Tag!?" - Sowas gefällt mir schon in Deutschland nicht. Sagt der das hier zu allen, denen er begegnet?

Ich sehe die ersten israelischen Soldaten, die mit einem Jeep auf meinem Weg Patrouille fahren. Als sie stehen bleiben und das Fenster runterfahren - wieder ein anerzogener Reflex - denke ich "ui, jetzt gibt's Ärger. Dabei wollen die nur wissen, wohin ich unterwegs bin, was mein Auftrag ist. Den Israel National Trail ("Shvil Israel") kennen sie. Kennt offenbar jeder, denn viele Soldaten gehen den INT nach Abschluss ihrer Militärzeit. Was mich zu dem Verdacht verleitet, ob die Jungs vielleicht in ihrer Militärzeit nicht hart genug rangenommen werden, weil sie nachher erstmal mit dem Rucksack auf Wanderung gehen müssen... :-)




Laut Pilgerführer geht es heute an einer IDF (Israels Militär, Israeli Defense Forces)-Basis vorbei. Die ist nicht zu übersehen. Vor dem Zaun findet grade ein Manöver statt, mit Schützenpanzern, leicht gepanzerten Fahrzeugen (einige tragen Dummy-Panzerrohre, als "Sim-Panzer", was mich an unsere supersparsame Bundeswehr erinnert) und hektisch dazwischen herumfahrenden Kommandanten-Jeeps. Allesamt sind die Kameraden äußerst freundlich zu mir, jeder - aber auch jeder einzelne - erwidert freundlich und lässig meinen Gruß.

Die IDF ist keine Scherzarmee. Vor den Jungs ist echt Respekt angebracht. Es gibt wohl auch weltweit keine Armee mit soviel "Hirn" (gescheite Leute) pro Durchschnitts-Nase. Und kaum eine andere Armee der Welt würde einen Krieg überleben, den mehrere Nachbarn gleichzeitig vom Zaun brechen, an mehreren Fronten gleichzeitig. Und dann auch noch als Sieger daraus hervorgehen. - Ich als Palästinenser würde da so schnell keinen Stein in deren Richtung schmeißen. Das erfordert schon einiges an Verzweiflung. Und Eier.

Vom Comment her sind die Soldaten eher relaxt: Weiße T-Shirts gehören zum Standard-Outfit, manche Rasuren würde ich als Ausbilder niemals durchgehen lassen. Trotzdem schaut die Truppe mysteriöserweise alles andere aus als wär's eine zusammengewürfelte Möchtegern-Miliz, sondern die wirkt durch und durch professionell.

Mein Outfit dagegen: T-shirt & Palästinensertuch (Keffiye), kurze Hose. So ein Tuch muss in der Wüste ein wahres Wunderding sein, gegen Sonne, Staub, Sand.
Jetzt hat's endlich ca 20 grad, Sonne, frischer Wind.




An der Kreuzung "Golani Junction", benannt nach Israels berühmter und kampferprobter Golani-Brigade, gibt's einen McDonald's! Und rein mit mir. Auch wenn dies leider bedeutet, dass ich vom markierten Weg abzweigen muss und - wie sich später herausstellt - dabei komplett vom Weg abkomme, Extrameilen ins Off laufe und echt kurz davor bin, die Nerven zu verlieren. Wurscht, ich hab ja jetzt 2 Burger im Bauch...

Durch meinen planlosen Umweg abseits der markierten Route verpasse ich einen 100 m-Abschnitt echter Römerstraße, auf der - aufgrund der wichtigen örtlichen Lage - Jesus gegangen sein müßte. Bravo.

So ein Mist. Ich bin trotz Karte & Navi einen Sch... zammg'hatscht. Und das passiert mir als erfahrenem Pilger. Der Grund: Die Strecke verläuft aufgrund einer Baustelle anders als beschrieben und markiert. Und die Wege in Israel haben eine für mich ungewohnte Markierung, ohne Pfeile wie in Spanien.  Zu allem Überfluss gibt es Widersprüche zwischen Markierung, Karte & Navi. Das schmälert den Pilgerspaß ungemein.



Gleich neben dem McDonalds wurde das Museum der Golani-Brigade eingerichtet. Dort konnte ich natürlich nicht vorbeigehen. Das Museum ist ein beeindruckendes Loblied auf diese Eliteeinheit, die in so ziemlich jedem Konflikt ganz vorne eingesetzt war, den Israel jemals ausgefochten hat. In einem etwas dunkleren Raum ist jedem einzelnen Gefallenen der Brigade ein schwarzes Album gewidmet, in das Angehörige Andenken und Schriftstücke über ihren Gefallenen abgelegt haben. In dieser Bibliothel der Gefallenen stehen Meter über Meter an solchen Bücherrücken nebeneinander. Das geht ziemlich unter die Haut.




Der Höhepunkt für mich als Mittelalterfreak ist die Überquerung der sog. Hörner von Hattin. Ich zitiere hier Wikipedia (ergänzt durch eigene Anmerkungen), um nicht allzuviel Schmarrn zu schreiben:

Die Schlacht bei Hattin am 4. Juli 1187 (die auch im Film "Königreich der Himmel" kurz dargestellt wird) war die größte militärische Niederlage der Kreuzfahrer und führte zum Verlust großer Teile der Outremer einschließlich des Königreichs Jerusalem an die Muslime. (...) Der König, der Lazarusorden und die schwerbewaffneten Reiter bildeten die Mitte, und die Templer und Hospitaliter die Nachhut, die durch die Brüder Balian und Balduin von Ibelin (siehe die Figur, die im gleichen Film von Orlando Bloom gespielt wurde) geführt wurde. (...) Das moslemische Heer zündete das Gras an, was die bereits stark dehydrierten Kreuzritter durch den Rauch und die Hitze fast in den Wahnsinn trieb.
Nachdem Saladin die Schlacht gewonnen hatte, wurden alle anderen überlebenden Ordensritter hingerichtet. (Wikipedia)
Die Templer hatten in ihren Statuten ein explizites Verbot, Lösegeld für gefangengenommene Brüder zu zahlen. Daher machten ihre Feinde mit gefangenen Templern in der Regel kurzen Prozess.






Direkt unterhalb der Hörner von Hattin liegt der ehemalige arabische Ort Hittin, von dem nur noch der Turm der Moschee steht. Das Dorf hatte 1948 noch 1.300 arabische Einwohner und existierte seit Urzeiten. Nach dem Krieg von 1948 wurden - nach einigen Berichten - die Einwohner vertrieben. Das Dorf wurde zusammen mit ca 400 anderen arabischen Ortschaften von den Israelis eingeebnet. Dieser Bericht steht in bemerkenswerter Klarheit und Neutralität im Pilgerführer "Jesus Trail" von Anna Dintaman und David Landis.






Erstmals seit ich aus Nazareth losgezogen bin, bin ich in Moshe Arbel bei einer jüdischen Familie zu Gast. Bislang erfuhr ich in Israel 100% reines Arabienflair mit Muezzins, Moscheen, Arabisch als quasi Amtssprache, einigen verschleierten Frauen etc. Der Luxus des liebevoll gepflegten Guesthouse hauen mich um. Das Ehepaar Israel und Sarah kocht abends in ihrem Restaurant extra für mich auf - ich bin der einzige Gast. Sehr liebe, herzliche Menschen.

Ich kann mir jetzt nach dieser Erfahrung mit der orientalischen Kultur und den freundlichen Menschen noch besser vorstellen, eines Tages den Abschnitt des Jerusalemweges zu gehen, der durch die Türkei führt, auf den Spuren des Apostels Paulus durch Kleinasien.

Hab meinen ersten leichten Sonnenbrand im Gesicht aufgerissen, heissa!

Obwohl die große Mehrheit der Menschen extrem freundlich ist, gibt es sehr vereinzelt Gruppen von herumsitzenden jungen Arabern, die auf meinen freundlichen Gruß hin mit einer Menge Text antworten, der mir unverständlich ist, aber der von der Intonation her nicht unbedingt ein freundlicher Rückgruß ist. Bin ganz froh, dass ich's nicht verstanden hab.
Denke mir, wie unfreundlich es sein muss, wenn zB in Deutschland ein ausländischer Gast, der gerade mit Müh und Not eine deutsche Grußformel rausbringt, - sagen wir in Bayerwalddialekt - zugeschwallt wird.

Mir fällt ein, dass der einzige vollständige Satz, den ich auf Hebräisch kann, wie folgt lautet:
"Efo Chatzav?"
Und dieser Satz heißt tatsächlich nichts anderes als "wo ist die Schildkröte?" Ist ein uralter Schmäh.

Für den Pilger, der gerne ein paar Worte (Grüß Gott / Bitte, Danke) in der Sprache seines Gastlandes sprechen möchte, stellt sich die Herausforderung, jeden Ausdruck 2x lernen zu müssen, einmal hebräisch und einmal arabisch. Ist nicht ganz einfach.

Glücklicherweise habe ich gerade eine Friedensphase in Israel erwischt, die das Pilgern sehr sicher macht - anders als in Ägypten, wo ich ursprünglich durchpilgern wollte, von einem koptischen Kloster zum anderen, bis zum orthodoxen Kloster auf dem Sinai.

[Fotos: Abmarsch aus Cana, Bilder vom Weg, Fotos vom Museum der Golani-Brigade, erster Blick auf die Hörner von Hattin im Hintergrund und erster Blick auf den See Genesareth]



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