Freitag, 8. März 2013

 6.3.2013, Tag 3, Hatschtag 1: Nazareth - Cana

Pünktlich um halb vier in der Früh rief der Muezzin aus bemerkenswert schallstarken Lautsprechern seine Frommen zur Vigil, oder wie die moslemische Gebetszeit im nachtschlafenden Morgengrauen genannt wird. Dagegen können selbst die Engelszeller Trappisten einpacken, die erst um 5:30 mit ihrem ersten Stundengebet so richtig in Fahrt kommen, wie ich unmittelbar vor meiner Pilgerreise selbst 1 Woche lang erfahren durfte. Ich hoffe, ich werde in meinen 3 Wochen im Hl. Land meine westeuropäische Scheu vor dem Allahu-akbar des Muezzins etwas ablegen. Denn der ungewohnte monotone Cantus kling für meine Ohren immer noch ein bissl nach Kriegsgeschrei, bzw. manchmal auch nach dem witzig gemeinten Pseudoarabisch, das die Terroristen-Marionetten in dem umwerfend lustigen Film "Team America" sprechen: "MohammedIslaaaamdschihaaaad..." Vielleicht vergleichbar ungewohnt, wie wenn man - theoretisch - in der Stadt Medina per Lautsprecher greogorianische Choräle ausstrahlen würde.









Hier in Nazareth gehört das bisweilen simultan zu hörende Nebeneinander von Muezzin-Rufen und Kirchenglocken zum einzigartigen multikulturellen Flair dieser toleranten Stadt. Die jüdischen Israelis dürften sich bisweilen ärgern, dass sie über keine vergleichbare Institution verfügen, die eine ähnliche Gaudi produziert wie Kirchenglocken oder Lautsprecher. Vielleicht stellen sie ja in Nazareth auch noch Lautsprecher auf, aus denen zu Klezmerbegleitung "Hava-Nagila" erschallt...:-) Dann wär die nahöstliche Kakophonie perfekt.

Ich bin unterwegs! Meine ersten 7-8 km auf dem Jesus Trail führen mich von Nazareth nach Sepphoris (heute: Zippori). Es geht erst durch Vorstädte ohne viel menschliches Leben (nach 2 Tagen in der wimmelnden Altstadt ist man etwas verwöhnt von all der Action), danach durch schöne grüne Felder bis auf einem Hügel, wo die antike Stadt Sepphoris stand, wo vermutet wird, dass der tekton (korrekterweise als Baumeister und nicht als Zimmermann übersetzt) St. Joseph, evtl unterstützt durch den jungen Jesus als "Lehrbua", die von Herodes den Großen bis auf die Grundmauern zerstörte Stadt wieder aufbauen half.





Nun sitze ich bei einer kleinen Picknickarea vor dem Eingang zu Sepphoris. Es ist schon ein Riesenprivileg, nach all den Jahren auf den Spuren des Hl. Apostels Jakobus, dieses temperamentvollen Dieners des Herrn (Jesus selbst gab ihm und seinem Bruder den bendeidenswerten Spitznamen Boanerges = Donnersöhne), den Spuren seines Herrn selbst zu folgen.
Überall hier kann Jesus theoretisch damals herumgegangen sein. Und ich hatsch hier rum, frei wie ein Vogel, alleine belastet durch das nicht geringe Gewicht meines Rucksacks. Was für ein herrliches Gefühl.

Jesus selbst ist ja als Mensch nie nach Europa gekommen, daher muss man sich eben auf die Tour in den Orient begeben, will man Gottes Spuren suchen. Immerhin hat seine Mutter, die Jungfrau Maria, die mangelnde Präsenz ihres Sohnes in Europa durch eine Reihe eigener Gastauftritte auf dem europäischen Kontinent aufgewogen: Lourdes, Fatima, Montserrat, Altötting etc etc.

Die Gegend, in der ich im Heiligen Land unterwegs bin, fühlt sich aufgrund der vielen biblischen Bezüge tatsächlich heilig an, wie "God's own country". Da traut man sich als Pilger kaum, zwischendurch mal in die Landschaft bieseln zu gehen :-) Mose selbst wurde ja damals vor dem brennenden Dornbusch von allerhöchster Stelle recht deutlich auf den örtlichen Comment im Heiligen Land hingewiesen: "Zieh Deine Schuhe aus. Denn der Ort, auf dem Du stehst, ist heilig." Es fällt einem heutigen verwöhnten Pilger mit seinen Trailrunningschuhen äußerst schwer, eine ähnliche Respektsbekundung zu erweisen, will er nicht Blasen riskieren.

Die Landschaft im Frühling hat ganz deutliche Ähnlichkeiten - kein Witz - mit meiner Heimat, der Oberpfalz. Die Felder sind grün, überall auf den zahlreichen Hügeln liegen Kalkbrocken rum. Ich würde den nächsten Bibel-und-Sandalenfilm eindeutig auf dem Alpinen Steig zwischen Schönhofen, Undorf und Deuerling drehen. Würde man ihn nämlich im Heiligen Land filmen, müßte man vorher ein paar Stunden lang erst den ganzen Zivilisationsmüll wegräumen, der zwischen und auf den Feldern liegt. Israelische Touristen scheinen nicht die Weltmeister in der Kategorie Umweltsensibilität zu sein.

Sepphoris war echt einen Extra-Ausflug wert. Da gibt es römische Straßen und Häuserruinen, wunderschöne Mosaike, unter anderem von der "Mona Lisa von Galiläa", angeblich ein Portrait der Hausherrin - wirklich unglaublich schön, auch nach 2000 Jahren noch. Ebenso beeindruckend: Eine aussichtsturmartige Festung, die die Kreuzritter errichtet haben, mit grandioser Aussicht, dazu Schießscharten, Gewölbe, einer tiefen Zisterne und allem, was man als Kreuzritter so brauchte.

* Gear-Report! * Zu meinem Lieblings-Ausrüstungsstück hat sich mein neu angeschafftes Ultraleicht-Fotostativ gemausert. Das Ding ist der Wahnsinn. Die Segmente des Dreibeins sind durch Gummizüge verbunden und schließen sich automatisch zu Stativstangen zusammen, wenn man sie herab hängen läßt. Dh in ca 3 Sekunden steht das Stativ. Und sogar meine unsäglichen aus der Hand geschossenen Selbstportraits gehören der Vergangenheit an, denn man kann mit dem Stativ wunderbar Fotos von sich machen, wenn man grad durch die Gegend hatscht. Ja, ist doch klar, dass man selber auch mal auf den Erinnerungsbildern drauf sein will. Wer will denn schon 100% nur Landschaft sehen?

Ich bin doch ehrlich überrascht, wie schwer der Rucksack im Kreuz liegt. Ist hoffentlich nur Gewöhnungssache. Mit 10,4 kg Reingewicht ohne Verbrauchsgüter ("Base Weight", dh ohne Wasser & Essen) bin ich in den Flieger gestiegen. Das kratzt deutlich an meinem Leichtigkeits-Rekord. Gut, wenn man dann den verbrauchbaren Kram dazuzählt, vor allem das notwendige Wasser, dann geht das Gewicht deutlich in Richtung 17 kg.
Immerhin weiß ich jetzt, dass die vom Pilgerführer als absolutes Minimum empfohlenen 3 l Wasser zumindest in Galiläa im Frühling hoffnungslos übertrieben sind. Die Hälfte tut's auch. Ich hab tatsächlich auch noch ein paar Zeitungen und Zeitschriften dabei, denn die kann man ja getrost, nachdem sie ausgelesen sind, wegschmeissen. Dennoch findet sich im Tagesablauf kaum eine völlig freie Stunde, so dass man mal gemütlich zum Schmökern käme. Es wird ja leider schon um 18:00 finster, dh da sollte man schon in seiner Unterkunft sitzen. Und die ca 4 h bis zum Einschlafen sind mit Nahrungssuche bzw -aufnahme, Wäschewaschen, Duschen und Route planen für den nächsten Tag mehr als ausgefüllt. Und um 6:30 früh geht's wieder raus aus den Federn.

Mir ist schon öfter aufgefallen, dass die Füße, wenn sie nach einem Hatschtag auch noch so schmerzen, am nächsten Morgen wieder "auf Null gestellt" sind. Alle Probleme wie weggeblasen.

Auch hat mich überrascht, dass ein noch von München importiertes Fußschmerzproblem (ähnlich wie bei einer Marschfraktur), das ich noch am 2. Tag meiner Reise hatte, auf einmal so gut wie weg ist. Und ich hatte schon überlegt, ob es überhaupt sinnvoll ist, ins Heilige Land zum Hatschen zu fahren, wenn die Füße nicht 100% topfit sind. Wieder mal hat sich bewährt, dass man sich einfach nix sch... sollte. Der Zeitpunkt für vieles, was man sich vornimmt, ist NIE perfekt. Und daher schiebt man es immer und immer wieder raus. Meinen Pilgertraum dieses Jahr, nachdem ich 2 Jahre ausgesetzt habe, wollte ich mir auf gar keinen Fall nehmen lassen. Und es war die richtige Entscheidung: Schuhe schnüren, Rucksack packen und los! Fußprobleme heilt der Camino beim Gehen.

Beim Gewicht meiner Sohlen hab ich dafür nicht gespart: Ich hab mir, weil ich mir im März 2012 beim Laufen die Achillessehne angerissen hatte, nagelneue Einlagen machen lassen und die hab ich mitgenommen, zusammen mit wunderbaren - und sauschweren - Silikon-Sohlen aus meinen Bundeswehrstiefeln. Diese beiden Paare Sohlen wechsle ich täglich ab und damit fahre ich bis jetzt prächtig.

Wenn mich jemand fragt, ob man verrückt sein muss, um alleine mit Rucksack durch Israel zu hatschen, dann ist meine Antwort eindeutig: Nein. Bislang war ich in keiner einzigen brenzligen Situation, sondern fühle mich genauso sicher wie daheim. Ein gewisser Grad Furchtlosigkeit schadet aber sicher nicht. Draufloshatschen, obwohl man nicht weiß, wo man schlafen wird, mit Jugendlichen locker quatschen, denen man in einer deutschen Großstadt vorsichtshalber aus dem Weg gehen würde, bis an die Zähne bewaffnete Soldaten in ein nettes Gespräch verwickeln, in ein Land reisen, das evtl in naher Zukunft in einen Krieg mit dem Iran verwickelt sein wird und wo immer wieder mal Raketen aus Syrien oder dem Libanon einschlagen, das verlangt zumindest etwas Unbekümmertheit. Und davon bring ich einiges auf die Waage :-)

* Gear-Report! * Ich habe einen neuen Pilger-Lieblingssnack für zwischendurch: Das herrliche orientalische Fladenbrot (das unkomplizierterweise auch noch "Pita" heißt, wie beim Griechen um die Ecke) mit ordentlich Erdnussbutter drauf. Das schmeckt, macht satt und gibt richtig gut Treibstoff.

So richtig warm ist's heut nicht geworden: 15 Grad leider nur. Immer wieder mal hat sich die Sonne blicken lassen.

Als ich nach Cana komme, der (vermuteten) Stadt der biblischen Hochzeit zu Kana, beginnt gerade ein Gottesdienst in der katholischen Hochzeitskirche, die über einem antiken Saal mit steinernem Wasserkrug gebaut wurde. Direkt gegenüber der katholischen Kirche ist übrigens die griechisch-orthodoxe Kirche. Ich nehme stark an, dass die ebenfalls behaupten, an der einzig wahren Stelle des Hochzeitswunders zu sitzen. Die Messe war leider für eine CEE-Reisegruppe in einer mir unbekannten CEE-Landessprache (polnisch oder tschechisch?) gehalten, da verstand ich ausser "Bosche" (Gott) eigentlich gar nix.

Direkt vor der Kirche sind die Touri-Läden, wo den CEE-Touristen (einige Damen wieder ganz steil mit dem christlichen Tschador, also mit Kopfschleier) allerhand Frommes verkauft wird, unter anderem "Cana Wine". Ich habe die Gegend jetzt schon seit Nazareth durchwandert und dabei noch keine einzige Weinrebe gesehen.
Gut, mag man einwenden, Jesus hatte für sein Weinwunder auch keinen Wein als Grundstoff.

Die Hochzeitsgeschichte bei Johannes 2, 1-12 gefällt mir u.a. wegen der Art, wie mütterlich-routiniert Maria mit ihrem göttlichen, aber nicht recht zu Wundern aufgelegten Sohn umgeht. Sie ignoriert einfach seine Ankündigung der Arbeitsverweigerung. Welche Mutter kennt diese Taktik nicht:

Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. [Soll soviel heissen wie: Jetzt sitz hier nicht rum, tu was!]

Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. [Soll heißen: Jetzt lass mich doch bitte ein-mal in Ruhe abfeiern. Kann ich nicht einmal Spaß haben wie alle anderen Jungs? Immer nur Wunder, Wunder, Wunder - sogar auf einer Party. Ist es denn meine Schuld, dass die Geizkrägen zu wenig Stoff eingekauft haben? Oder dass die Gäste den ganzen Wein so flott weggesproodelt haben? Ach Mann, echt... (Etc)]

Seine Mutter sagte zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut! [Soll heißen: Wolln wir mal sehen, wer hier der Chef ist. Ist mir doch egal, wenn er - der Sohn Gottes! - keine Lust auf Wunder hat, ha! Und ihr tut jetzt einfach das, was er Euch sagt. Er wird uns schon noch aus der Patsche helfen.]

Untergekommen bin ich im Cana Guesthouse bei einer christlichen arabischen Familie. Sehr nett, sehr liebe Leute.





Eine urschräge Story ist mir passiert, als ich in Cana auf der Suche nach etwas Kohlenhydrathaltigem war. Sehe an einer Bäckerei ein Schild, dass die auch Pizza anbieten. Ich natürlich gleich rein. Ja, Pizza haben sie, machen sie extra frisch für mich. Wie groß darf's denn sein? Groß, halt so für 1 hungrigen Pilger. Was dann kam, das war ein Wagenrad, das für eine Großveranstaltung locker gereicht hätte. Und dermaßen lecker! Einiger Haken: Zum Essen wurde mir das Dachgeschoß über der Bäckerei zugewiesen, eine miese, schlampige, versiffte Drecksbude, die ich auch noch mit einem geltungssüchtigen Papagei teilen musste. Der Papagei kam auch gleich schnurstracks auf mich losgestiefelt, als er gesehen hat, dass bei mir was feines auf der Familien-Wagenrad-Platte dampft. Und er ging felsenfest davon aus, dass das für uns beide reichen müßte. Der Kerl war echt groß, vom Boden bis zum Knie, und mit einem beeindruckenden Schnabel bestückt. Und laut! Ehe er mir in meiner Pizza Gesellschaft leisten konnte, war allerdings schon der Bäcker (arab. Abu Bakr?) da und hat den penetranten Papagei unter Einsatz miesester Tricks auf das halb offene Fenster zur Backstube gesetzt, 1,50 m von meiner Partypizza entfernt. Papagei hat indes nichts besseres zu tun als zu versuchen, von dem blöden Fenster wieder runterzukommen, um an meiner Pizzaparty teilzuhaben. Versuch mal, mit dem beim Abendessen gebotenen Ernst eine Familienpizza zu verdrücken, wenn Dich die ganze Zeit ein großer blauer Papagei fixiert und anplärrt.
Am Ende hab ich ein bissl mehr als die Hälfte des Pizzateppichs geschafft - und dann doch dem blauen Schreihals auch eine halbe Scheibe abgegeben. Und die hat er sich reingezogen wie unsereins am Straßenstand: Eine Hand zum Festhalten am Fenster und die andere um das Pizzastück. Hab gleich eine Reihe Fotos gemacht.

Übrigens bin ich jetzt unter einer israelischen Nummer erreichbar, wenn einer mal anrufen möchte:

+972548749269

Auffallend, wie wenig mir Handy-Telefoniererei und Sms abgehen und wie sehr ich auf Email-Kommunikation angewiesen bin. Hab mir deshalb eine israelische Sim-Karte gekauft, mit der ich unbegrenzt Emails schreiben kann, in Israel telefonieren und im Internet surfen kann, hurra!



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