Samstag, 16. März 2013

14.3.2013 Hatschtag 6: Arad - Amasa (Negev / Judäische Wüste), 22 km

Es ist früh am Morgen, es geht los von Arad. Die Wüste beginnt quasi direkt ab dem Ortsschild Arad. Wie mit dem Lineal gezogen.

Ein beinharter Jogger kommt mir um 7:00 früh aus der Wüste entgegengelaufen, Oberkörper frei.

Ordentlich mit Vorräten eingedeckt, weil der nächste Supermarkt erst in 2 Tagen erreicht wird. Schwierige Auswahl, was man einkauft. Cashew-Nüsse, Energieriegel, chinesische Nudelsnacks, getrocknete Datteln, Zartbitterschokolade, Chips.

Heute "nur" 4 l Wasser dabei. Den Gewichtsunterschied zu den Vortagen mit 6 l pro Tag merkt man deutlich. Heissa!



Das hatschen ist wie am Camino de Santiago: Landschaft nicht mehr so extrem wüstesk, mehr Siedlungen dazwischen, Gras wächst sogar auf einigen Abschnitten. Alls zusammen sehr gut machbar auch als Solopilger.

Mehrere Schafhirten, ua eine Beduinenfrau mit Kindern, die sich sehr über meine Ultraleicht-Hatsch-Stecken begeistert. Ich hatte zunächst die Befürchtung, sie wollte einen der Stecken eintauschen gegen ihren Holzgehstock - das wäre für mich ein echt suboptimaler Tausch gewesen.

Treffe eine Gruppe Mädels aus der Armee, hatschen gesamten den ganzen INT zusammen. Fragen mich ohne Umschweife: "Are you Jewish?" Immerhin fühle ich mich der jüdischen Religion sehr verbunden, schließlich beten wir zum gleichen Gott Jahwe.





Mich fasziniert immer wieder, dass in Jerusalem ein leeres Grab das Haupt-Pilgerziel der Christenheit darstellt. (Anders als in Santiago de Compostela, wo der Pilgerweg definitiv an einem belegten Grab endet, auch wenn nicht 100% sicher ist, dass es sich dabei um den Donnersohn, den Apostel Jakobus, handelt.)
Genau das ist der Grund, warum Gott seinen Sohn geschickt hat, um ihn von uns Menschen grausam zu Tode foltern zu lassen: Um jedem Zweifler zu zeigen: Ich könnt mich umbringen, aber mein Grab ist leer. Ich bin auferstanden. Der Tod ist besiegt.

Egal, mit welcher Motivation wir auf dem Weg sind: Wir alle sind Pilger. Denn wir alle sind, wissentlich oder nicht, unterwegs an einen heiligen Ort. Ich hab mal gelesen: Die Religionen sind nur verschiedene Schleier vor dem Antlitz Gottes (islamischer Gelehrter aus dem Mittelalter)

Solang Du auf dem Weg bist, bist Du auf dem richtigen Weg.





Sehr gut zur Pilgersituation im Heiligen Land passt m.E. dieses Zitat von Tehumseh, Häuptling der Shawnee, ca. 1811:

"So live your life that the fear of death can never enter your heart. Trouble no one about their religion; respect others in their view, and demand that they respect yours. Love your life, perfect your life, beautify all things in your life. Seek to make your life long and its purpose in the service of your people. Prepare a noble death song for the day when you go over the great divide. Always give a word or a sign of salute when meeting or passing a friend,
even a stranger, when in a lonely place. (...) When it
comes your time to die, be not like those whose hearts are filled with the fear of death, so that when their time comes they weep and pray for a little more time to live their lives over again in a different way. Sing your death song and die like a hero going home."

Ich kann übrigens allen Pilger-Interessenten nur wärmstens den grandiosen Film "The Way" von Emilio Estevez und Martin Sheen (Vater & Sohn, auch in echt) empfehlen. Mehr Tiefgang geht kaum.






In der Ferne MG-Salven, wohl von einem Übungsplatz. Äh, hoffentlich.

Am Ende dieses Tages habe ich 136 km unter den Pilgerschuhen! Hab ganz vergessen, meinen "100er" zu feiern.

10:00 früh. 27 Grad. Erreiche gerade den Tel Arad.

Bin gerade zur kulturellen Erbauung und zur Pause in der archäologischen Ausgrabungsstätte Tel Arad. Hier gibt es eine Siedlung aus der Kanaaniterzeit (3000 v. Chr.) Und eine israelitische Zitadelle (1000 v.Chr) zu sehen. Sehr schön und spannend. 2 Cola Zero haben mir die netten Parkranger verkauft. Einer sieht aus wie Lance Armstrong. Ich hoffe zumindest, dass sein Cola bei mir ähnlich wirkt wie das, was Lance lange Jahre so schnell gemacht hat. So, und jetzt geht's wieder ab in den Negev.

12:00 mittag und 35 Grad. Wenn das - aufgrund der Hitzewelle - die Temperaturen des Sommers im Hl. Land sind, dann komm ich gern im Sommer wieder :-) Das ist ja nix gegen einen gelungenen Sommer in Andalusien. Am Wochenende solls aber wieder richtig kühl werden, ca 15 Grad. Hab mir dafür extra eine Lauf-Tight-Hose zugelegt, weil's bei Nachtemperaturen von 15 Grad in der Negevwueste im Schlafsack schon fast ein bisserl ungriabig war.

Gehe grad durch ein Beduinendorf. Erinnert sehr stark an ein Zigeunerdorf bei uns. Auch die Probleme scheinen leider die gleichen zu sein: Wohl kein fließendes Wasser, sicher kein Strom, hygienische Verhältnisse schwierig. Ein kleiner Beduinenbub spricht mich freundlich auf Arabisch, dann Hebräisch an. Englisch kann bislang keiner der Beduinen, die ich getroffen habe. Ich kann ihm zumindest halbwegs klarmachen, dass ich auf dem Shvil Israel (INT) einen "Haj" (Pilgerreise) nach "Al-Kuds" (Jerusalem auf Arabisch) mache. Er schaut mir bedeutungsvoll hinterher.

Die Leute hier hüten am Fuß der Ausgrabungsstätte ihre Schafe und Ziegen wie schon die Kanaaniter, die ein paar Meter weiter vor 5000 Jahren in der Stadt Tel Arad während eines Zeitraums von 350 Jahren gelebt haben. Es hat sich - wenn man die Situation als vorbeiziehender Pilger betrachtet - rein gar nix geändert.







Ich trau meinen Augen nicht: Wilde Dromedare grasen hier, mitten in der mit einer leichten grünen Pflanzenschicht bewachsenen Wüste!!!

Unpackbar. Die Dromedare sind die einzige nennenswerte Fauna, die mir bisher in der Wüste begegnet ist. Dabei gäbe es sogar rückgezüchtete (weil zwischenzeitlich ausgerottete) Wildesel zu sehen, Schakale und sogar - am obersten Ende der Nahrungskette - Hyänen. Anders als auf meinen Wüstenläufen in San Diego und der südkalifornischen Anza Borrego-Wüste sehe ich hier keine einzige Schlange. Dabei hätte ich erwartet, dass die - ähnlich wie die California Rattlers - im Frühjahr während der ersten warmen Tage so richtig munter werden und ausgehungert auf Beutesuche gehen. Eidechserln und ähnliche Geckos (Plural: "gecki"?) gibt's hin und wieder mal. Und hochbeinige, extrem geländegängige schwarze Käfer - wahrscheinlich die berüchtigten Dinger, die eine heiße Chemikalie versprühen können, wenn sie sich bedroht fühlen (Bombardierkäfer?).

2 streunende Hunde kommen bedrohlich bellend auf mich zu und drehen dann ab, als ich meine Ultraleicht-Stecken erhebe. Auch das eine leidige Episode, die einem immer wieder auf dem Camino de Santiago widerfährt. Bin zwar nicht so gut bewaffnet, wie es die israelische Soldatinnengruppe sicherlich ist, aber mein Pfefferspray hab ich dennoch stets griffbereit. Pilgerinstinkt.

Rauf geht's auf den Mount Amasa, in Richtung des heutigen Nachtlagers in einem kleinen Kibbutz.

Du bist schon zu lange Pilger, wenn
Du persönlich beleidigt bist, wenn Du in einer unbekannten Kirche nach 5 min Suche noch keine Santiagostatue gefunden hast.

Ich habe mittlerweile schon einige Trageweisen der Keffiyeh (Palästinensertuch) ausprobiert. Am besten gefiel mir in der Affenhitze, das Tuch nir locker über den Kopf und Rucksack zu werfen, so dass es angenehm Schatten spendet, aber den Wind noch an die Haut läßt. Dabei ist mir aufgefallen, dass dies genau die Art ist, wie "Scheichs" ihr Kopftuch tragen, nur haben die noch einen Ring dazu auf dem Kopf, zum Fixieren. Echt nicht unpraktisch.





Die nette Vermieterin in Arad meinte noch, als ich aufbrach: "You should stay here." Das macht aber leider einen Pilger aus - dass er auch dann am nächsten Tag wieder weiterhatscht, wenn es irgendwo wunderschön ist.

Von der körperlichen Belastung schätze ich den heutigen Hatsch in der Hitze ungefähr auf einen Marathon.

Es geht ursteil die original Römerstraße auf den Mount Amasa hinauf. Wie haben die das damals nur geschafft in ihren genagelten Sandalen?

Ich muss heute in einem Kibbutz übernachten. Und bin etwas irritiert über den Hochsicherheitstrakt, den das Kibbutz umgibt. Und über die zottelbärtigen Kibbutzniks, die den Colt griffbereit im Gürtelholster tragen und mit einem Blaulicht-Polizeiwagen mit olivgrünen Anstrich Patrouille fahren.

Abends kommen immer mehr israelische Pilger, essen gemeinsam vegetarisch und klampfen auf der Gitarre. Wirkt wie eine Ökoparty von Interrail-Kiddies.

Übrigens: Manchmal ist der Pilgerweg immer noch für handfeste Wunder gut. Das Landkartenblatt, das meinem Pilgerbruder Francesco mitten in der Negevwüste in einen tiefen Canyon geflattert ist und damit unwiederbringlich verloren war - genau dieses Blatt flog ca 1 Stunde später unserem Pärchen aus Israel direkt auf dem INT vor die Füße! --- Sprachlos? Sprachlos.

Sie haben die Karte freudestrahlend Francesco überreicht, als sie uns an einer Rast eingeholt haben.

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