Mittwoch, 6. März 2013


4.3.2013, Tag 1 (Ankunft in Tel Aviv / Nazareth)

Sitze gerade im Zug vom Flughafen Tel Aviv nach Haifa, wo ich in den
Bus nach Nazareth umsteigen werde. Von Nazareth aus beginnt der 60 km
"lange" Jesus Trail, der quer durch Galiläa führt und in Kafarnaum
endet. Nach Abschluss dieses Pilgerwegs möchte ich als nächstes auf
dem Israel National Trail (INT) Richtung Süden gehen, Jerusalem
erreichen und vielleicht sogar bis Arad kommen, dem Tor zur
Negevwüste.



Viele INT-Veteranen im Internet empfehlen für diese Jahreszeit, nicht
im kälteren und regenreicheren Norden zu gehen, sondern von Süden, dh,
von Eilat am Roten Meer aus, nach Norden zu gehen. Denn die Schönheit
des Negev muss einen offenbar einfach umhauen. Ich kann mir das sehr
gut vorstellen, weil ich Wüsten über alles liebe.
In Spanien habe ich allein die Desierto de Tabernas durchquert, aber
das ist im Vergleich zum Negev eine lahme Aufwärmübung. Zur Sicherheit
bin ich dieses Mal erstmals mit einem neuen GPS-Gerät bewaffnet
(Garmin e-trex 30), als Backup, falls die Markierungen nicht
ausreichen und Karte nebst Kompass auch nicht weiterhelfen.

Ich glaube aber, dass es völlig unverantwortlich wäre, als relativer
Wüstennovize die Strecke durch den Negev allein (!) zu gehen. Die
harmlosesten Zwischenfälle (Fuß oder Knöchel verstaucht, Knochenbruch
etc) wirken sich in der Einsamkeit der Wüsten gerne mal zu
Katastrophen aus. Ich werd also die Augen offenhalten, ob ich nicht
einen Pilgerfreund auftue, der sich mir auf dieser Strecke anschließen
möchte. In Nazareth habe ich mich im Hotel Fauzi Azar Inn eingebucht,
das von Maoz, einem der beiden Initiatoren des Jesus Trail betrieben
wird. Ich hoffe, dass er mir Infos über potenzielle Mitpilger geben
kann.

Die sportlich-kurze 60-km-Strecke auf dem vergleichsweise zivilen
Jesus Trail soll mir zur Eingewöhnung dienen, zur Akklimatisierung und
zum Ablegen unnötiger Angst vor dem Unbekannten im Heiligen Land.
Danach werd ich sehen, wo mein Selbstbewußtsein mir erlaubt zu wallen:
nach Jerusalem oder durch den Negev. Oder von Süden durch den Nefev
nach Jerusalem?

Resummée am Tag 1: In mancher Hinsicht hat Israel bis jetzt meine
Vorurteile widerlegt, in anderer Hinsicht bestätigt. Widerlegt wurde
meine Vorstellung, dass das ganze Land eine dauerüberwachte
Hochsicherheitszone des Mossad sei, dass undurchsichtige Agenten mit
Knopf im Ohr einem bei der Einreise bohrende, skeptische Fragen
stellen würden, dass man sich ständig überwacht vorkommt etc. Alles
falsch. Die Einreise war absolut vergleichbar mit der Einreise am
Münchner Flughafen. Die Dame an der Passkontrolle hat ein paarmal
nachgefragt, was ich vorhabe und wie lange ich hier bleibe. Ich hatte
aber den Eindruck, die hat es einfach nicht glauben wollen, dass einer
freiwillig in seiner Freizeit 3 Wochen mit Rucksack durch die
nahöstliche Botanik hatscht. Vor dem Zug gibt es keinerlei
Gepäckkontrollen - da ist selbst der Madrider Hauptbahnhof wesentlich
strikter im Vergleich, ebenso mancher spanische Provinzbahnhof.

Bestätigt hat sich meine Vorstellung von äußerst freundlichen,
hilfsbereiten Menschen, die auf eine sympathische Weise neugierig sind
auf einen fremden Pilger mit Rucksack.

Bestätigt hat sich meine Vorstellung, dass 10-20% der Bevölkerung in
Uniform und zum Teil bewaffnet durch die Gegend marschiert. Aber als
Reserveoffizier stört mich das überhaupt nicht. Mit meinem
Pilgerbruder Michael teile ich die Eigenheit, dass ich mich in
Gegenwart von Militär befreundeter Staaten wohl und sicher fühle. Ein
Sturmgewehr in der Hand eines disziplinierten aliierten Soldaten
schreckt mich nicht die Bohne. Vor allem, wenn man mit den endlosen
Militär-Checkpoints im mexikanischen Baja California vertraut ist (mit
Maschinengewehrstellungen, die auf die Autosperre gerichtet sind etc)
- dann schreckt einen sowieso gar nix mehr.

Dass hier hordenweise Ultraorthodoxe mit ihren keuschen
Pinguin-Outfits herumrennen, war mir vorher schon klar, das überrascht
mich ebenfalls nicht. Dass die Jungs zum großen Teil den Staat Israel
- und den Dienst in seiner modernen, hocheffizienten Armee - ablehnen,
und dass das staatlich geduldet wird, das geht mir nicht in den Kopf.
Aber ich werd mir als fremder Pilger im Heiligen Land noch einiges
angewöhnen müssen, was ich vorher nicht gedacht hätte. Ich will mit
maximal offenen Augen und offenem Herzen durchs Land gehen. Wenn dabei
das eine oder andere Vorurteil auf der Strecke bleibt, so ist das nur
eine willkommene Erleichterung meines Reisegepäcks.

Ebenfalls trifft mein Klischee zu, dass 90% der Bevölkerung so smart
aussehen, dass ich sie bedenkenlos als meine Steuerberater, Anwälte
oder Ärzte anheuern würde. Randlose Brillen oder stylishe
Nerd-Brillen, kurzer militärischer Haarschnitt, gepflegtes,
soigniertes Äußeres, dazu noch in der Regel eine sehr gesunder Teint,
das macht schon was her. Wirklich attraktive Menschen hier.
Es gibt wesentlich schlimmere Anblicke als die israelische Soldatinnen
in Uniform, mit Pferdeschwänzen lustig im Nacken baumelnd.

Israelis machen sogar in ihren unförmigen grünen Uniformen stets bella
figura. Wieso hingegen österreichische Soldaten in sehr ähnlichen
grünen Uniformen grundsätzlich bedauernswert ausschauen, ist mir ein
Rätsel.

Mit meinen pilgertypischen Funktionsfaserklamotten falle ich hier
jedenfalls auf wie ein bunter Hund, mitten unter all den Soldaten und
Steuerberatern. Handies klingeln überall Sturm, alle haben das Handy
permanent vor der Nase. Quatschen und Sms-Schreiben scheint hier der
liebste Freizeitsport.

Einmal hatte ich im Rahmen einer Transaktion mit israelischen
Anwaltskollegen auf unserer Seite zu tun. Das war eher - vorsichtig
formuliert - abenteuerlich. Die haben zum Teil erst mal irgendwas
drauflosverzapft, ohne dass das rechtlich wirklich irgendeinen Sinn
ergeben hätte. Übertroffen wurde dieser Eindruck nur durch ehemalige
israelische Mandanten. Die waren - ebenfalls äußerst diplomatisch
ausgedrückt - eher fordernd. Da konnte man gut und gerne 1-2 eigene
Anwälte dauerhaft als "Babysitter" abstellen, um die Dauerkanonade von
Nachfragen von nur einem einzigen Mandantenvertreter zu beantworten.

Hoi - es wird also schon dunkel um 18:00. Wichtig für die Planung
meiner Tagesmarschleistung. Also früh aus dem Schlafsack in der Früh
und keine endlose Nachmittags-Siesta im Schatten eines Olivenbaumes
wie in Andalusien. Ich war ja gerade erst 1 Woche zu Besuch im
Trappistenkoster Engelszell und hab den beinharten Tagesablauf der
Mönche mitgemacht, inklusive 5:00 früh aufstehen und Nachtuhe um 20:00
- mich schreckt also nix mehr. Ich bin bereits in der Pilger-Zeitzone!

Zum ersten mal in meinem Pilgerleben jedoch werde ich in der
Fastenzeit pilgern und daher den lieben langen Tag kein Bier trinken.
Ob das Pilgern unter diesen verschärften Bedingungen überhaupt
technisch realisierbar ist, wird sich zeigen. Fachleute wie Sven
zeigten sich bereits skeptisch. Der motivierende Effekt einer
frischgezapften Cervezita am Ende eines harten Pilgertages darf nicht
unterschätzt werden. Und man gibt ja auch dadurch dem Körper alle
wichtigen Mineralien zurück.

Ich freu mich schon wie ein Schnitzel auf das örtliche Essen, sprich,
auf meine erste amtliche Falafel, auf den bekannten Mehlspeis-Bäcker
Abu Ashraf aus Nazareth mit seinen legendären Pancakes, auf Hummus,
Fladenbrot etc. Kulinarisch bin ich hier goldrichtig gelandet, denke
ich. Echt mal eine willkommene Abwechslung zum meist lieblosen
spanischen Tapa-Glibber, den ich mir auf meinen fast schon
alljährlichen spanischen Jakobswegen antun muss.

Jetzt steh ich grad an der Bushaltestelle (Haifa - Hashmona) vor dem
Hafen Haifa und wart auf den Bus nach Nazareth. Immer noch ist alles
reine Spannung, Action, alles aufregend und neu. Ist halt doch was
ganz anderes als wenn man wieder mal durchs westlich-europäische
Spanien pilgert. Ich rieche die Meeresluft und mir geht's gut. Wir
sind im Zug lange an leeren Stränden entlang gefahren. Es erinnert
mich vom Gesamteindruck ein bissl an die spanische Afrika-Exklave
Ceuta. Auch verschleierte Mosleminnen gab's hüben wie drüben. Soeben
hab ich die ersten hier erspäht. Der wirklich erstaunliche Unterschied
in Ceuta war, dass die verschleierten Muttis in Ceuta alle reines
Spanisch sprechen, auch untereinander. Das erwartet man in Afrika
nicht.


Faszinierend ist auch die hebräische Sprache, die für mich manchmal
wie eine Mischung aus Französisch und Russisch wirkt. Lustigerweise
kann ich vielen der Unterhaltungen der zugereisten Israelis folgen -
die sprechen sehr oft Russisch! Hätte mir im Traum nicht gedacht, dass
mir meine Russischkenntnisse eines Tages bei einer Pilgerreise im Hl.
Land weiterhelfen würden...

Wenn hier ein Gebäude alt ausschaut, dann schaut es so RICHTIG als
aus. Also so, als hätte Jesus persönlich darin gewohnt.

Hinter jedem Stein könnte man einen biblischen Bezug hervorkramen,
kommt es mir vor. Und genau das ist schon seit den letzten 2000 Jahren
gängige Praxis. Zu Zeiten der frühchristlichen Jerusalempilgerin
Egeria um 340 nach Christus haben sie bereits - kein Witz - den
staunenden Pilgern den original "Eckstein, den die Bauleute verworfen
haben" gezeigt! Direkt aus dem Gleichnis - vor die Füße der staunenden
Pilger. Wundert mich, dass sie nicht gleich auch noch die Reste des
Mastkalbs des verlorenen Sohnes gezeigt haben oder die Wolke, die
Jesus auf dem Berg Tabor verklärte etc.

Mein lieber Spezi Raphi hat mich heute früh von sich aus mit seinem
Auto zum Münchner Flughafen gefahren. Danke Dir, Raphi!! Was wäre ich
ohne Freunde?!

Abends mache ich mich noch auf die Suche nach etwas brauchbarem zu
essen und verlaufe mich dabei ordentlich im Gewirr der zT doch recht
finsteren und arg verwinkelten Altstadtgassen. Die Leute wirken aber
alle so freundlich und hilfsbereit, dass ich keine Sekunde lang Sorge
hatte um mich.


Man wird sich jetzt berechtigterweise fragen: Was will der Hansdampf
in der Wüste oder überhaupt auf einem Pilgerweg, wenn er sich schon in
der Altstadt von Nazareth, seinem Ausgangspunkt, verläuft? Der
verläuft sich doch auch auf einem Laufband! - Zu meiner Verteidigung
muss ich sagen, dass mein neuer Kompass, den ich an mein Uhrenarmband
gesteckt habe, kaputt ist - das hab ich gerade gemerkt. Er zeigt statt
Norden mit seinem "N"(ord)-Pfeil schnurstracks und äußerst zuverlässig
nach: Süd-Südost! Jetzt will ich jemanden sehen, der mit Stadtplan und
einem solchen Kompass den richtigen Weg durch eine orientalische
Altstadt gefunden hätte! Als Jurist muss ich feststellen, dass
eigentlich kein eindeutigerer Sachmangel denkbar ist als ein Kompass,
der mit seinem Nordpfeil nach Süd-Südost zeigt. Denn ein Kompass dient
ja nach der allgemeinen Verkehrsanschauung einzig und allein diesem
einen überschaubaren Zweck, die richtige Richtung anzuzeigen. D.h.
dieser Mangel erfüllt sowohl den sog. objektiven als auch den sog.
subjektiven Fehlerbegriff problemlos. Das nur am Rande, für alle
fachlich interessierten Leser.

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