Dienstag, 19. März 2013

19.3.20113, Hatschtag 11: Tel Keshet / Philip Farm - Beit Guvrin (22 km)
Im Schatten Deiner Flügel finde ich Zuflucht, bis das Unheil vorübergeht. (...) Wacht auf, (...) Ich will das Morgenrot wecken. (Psalm 57 (56)).


Mitten im Morgenrot quäle ich mich aus dem Schlafsack. War eine unruhige Nacht neben der Autobahn. Und kkkalt. Um kurz vor vier habe ich festgestellt, dass ohne meine einschläfernd temperamentlose Freundin Dormidiana (von Beruf Anästhesistin am renommierten Louis-Tranquer-Institute) nicht an einen erholsamen Schlaf zu denken ist, also hab ich mir eine eingeworfen. Die wirkt bis jetzt leider nach. Jetzt mach ich mir erstmal ein Cafétscherl auf Glen's Ultraleichtkocher, um die Systeme hochzufahren. Ein Hilfsmittel muss das andere bekämpfen.

Jetzt ist es tatsächlich schon 8:00! Hab 1,5 h gebraucht, um meinen Krempel zu sortieren, Zelt abzubauen und alles zu verpacken! Mist. Dafür geht's jetzt los: Mit Chinasupperl im Magen, Cafétscherl und Koffeintablette im System, hurra - frischwärts!!

Der gestern noch recht merkwürdige Chef des Straßencafés wirkt jetzt auf einmal äußerst freundlich. Läßt seinen frisch gebrühten dreifachen Espresso stehen und überläßt ihn mir. Den Einwand, dass ich bereits meinen Morgenkaffee (plus Coffeintablette) hatte, läßt er nicht gelten: "Then have one more!". Okay. Man muss es lernen, sich auch mal beschenken zu lassen. Ich nehme ihn dankend und versuche, nicht an zitternde Hände und Coffeinschock zu denken. Jetzt aber los.





Ich hoffe, in Beit Guvrin wird mich die letzte Nacht im Zelt erwarten. Ich zelte auf dem INT mehr als auf allen meinen Jakobswegen zusammen. Keine extrem sinnliche Erfahrung, wenn man jeden Tag seine heiße Dusche gewöhnt ist.

Betrete gerade ein Gebiet, das laut dreisprachigem Schild als "Danger! Live Firing Zone!" der IDF gekennzeichnet ist. Direkt über dem Warnschild prangt unmissverständlich die Wegmarkierung für den INT. Was bleibt mir also anderes übrig als mitten ins Live Fire hineinzuhatschen? Wirkung geht vor Deckung. Augen zu und weiter.

Beduinen haben sich gestern abend, nachdem das Cafépersonal weggefahren war, bedient aus dem Straßencafé, ca 20 m von meinem Zelt. In dubio pro reo, also nehme ich an, dass die das durften. Dennoch habe ich meine Wertsachen zur Sicherheit ins Fußende meines Schlafsacks gesteckt.

Die ersten Weinfelder von Lakhish in Sicht! Soll ein bekannter Wein hier herkommen.

Es geht durch eine landwirtschaftlich geprägte Landschaft, die ausschaut wie bei uns daheim. Nur Wirtshäuser, Biergärten, Maibäume und Schweiners gibt's nicht.

Es geht nunmehr nicht mehr nordwärts, sondern primär nach Osten, auf Jerusalem zu. Zum ersten mal sehe ich auf meinem winzigen Navi-Display meinen Standort und Jerusalem auf einer Bildschirmseite. Wenn auch mit extrem großem Maßstab. Schönes Gefühl, meinem Ziel, der Heiligen Stadt, näherzukommen!

In der Ferne höre ich tatsächlich "Live Fire", wohl Einzelfeuer aus Gewehren.

Treffe in einem Eukalyptuswäldchen einen weiteren Shvilisten, Ohad mit Steuerberaterbrille, der von Norden nach Süden unterwegs ist. Wir tauschen Infos aus. Er ist ex-Fallschirmjäger, also quasi Kollege. Feine Gattung, die IDF-Fallschirmtruppe. Der erste Israeli auf dem INT mit vernünftigem Rucksackgewicht. Hat von Beit Guvrin hierher 3 h gebraucht. Muss geflogen sein. Entsprechend flott marschiert er dann auch weiter nach Süden.

Ich muss ziemlich abgenommen haben: Bin den ganzen Tag in Bewegung, esse recht wenig, und trinke kein Bier.


 * Gear-Report*
10 Grad plus markieren wohl das untere Ende der Komfortzone meines Yeti-Daunenschlafsacks. Anders als in der Beschreibung angegeben, die viel niedrigere Temperaturen angab. Aber ich bin auch ein ziemlich verfrorener Typ. Hatte gestern nacht im Schlafsack so gut wie alle Klamotten an, die ich dabeihabe.
Der GVP Ultralightkocher "Gram Cracker" ist ein äußerst fragiles Teil, das man nicht einfach in den Rucksack zu dem anderen Gear schmeißen sollte: Die Fosters-Bierdose, die als Kochtopf dient, hat jetzt an einer Stelle ein Loch. Jetzt kann ich die Dose nicht höher als ca 1/3 l befüllen. Immerhin kriegt man ja auch bei uns die kultigen 1-Liter-Faxe-Bierdosen, damit klappt es ja auch. Freu mich schon drauf, den Inhalt der Dose zu "entsorgen" und damit auch gleich meinem Kocher einen neuen Topf zu spendieren.
Nur wenn der Untergrund schön locker ist - wie gestern abend - kann man das Ultraleichtzelt "Tarptent Virga" wirklich gut und stabil abspannen. Aber auch nur dann. Dann ist es innen auch gleich viel geräumiger. Mittlerweile hab ich mit der Firststange ein Loch in die Firstschlaufe gerissen. Mir ist jetzt absolut klar, dass das Zelt seine große Zeit nunmehr endgültig hinter sich hat.
Man muss sich im Klaren sein, wenn man Ultralight-Gear kauft, dass das Zeug im Durchschnitt 2 lange Touren aushält, mehr nicht. Eintauschen würd ich das Gear dennoch nie mehr wieder gegen meine ursprüngliche Heavy-Duty-Ausstattung von Bundeswehr und Armyshop. Die hält zwar bis zur Pensionierung. Dafür kriegst dabei vom Schleppen jeden Tag einen Bandscheibenvorfall.
Es bringt überhaupt nichts, so dermaßen viel Gewicht in den Rucksack zu packen, dass man keinen Spaß mehr am Gehen hat und sich nur noch nach dem Zeltplatz sehnt. Das Gehen selbst muss die Attraktion sein, auf die man sich schon am Morgen freut. Und das geht wirklich nur mit minimalstem Gewicht.




Fliegen sind hier furchtbar lästig. Scheint eine typische Eigenschaft von sehr schönen, heißen Orten (Südspanien, Mexiko etc) zu sein.

Bin in Lakhish angekommen und mache ein Foto von dem dreisprachigen Ortsschild - es wirkt auf mich noch immer absolut unwirklich, als christlicher Pilger an arabischen Ortstafeln vorbeizukommen. Das erinnert mich immer an das ausgiebige Läufchen mit einem Wiener Kumpel auf der ca. 20 km langen Wiener Donauinsel. Irgendwann kamen wir auf die Höhe einer großen Moschee, nicht weit vom anderen Donauufer, worauf ich erstaunt meinen Lauffreund fragte: "Hoppla, wie weit samma na jetzt g'rennt?!?"

Das muss ja ein edler Tropfen sein, dieser berühmte Wein aus Lakhish - gerade fahren 3 Traktoren zwischen den Weingärten durch, und auf jedem sitzt als Fahrer ein von oben bis unten in ABC-Vollschutzplastik eingewickeltes lustiges Michelinmännchen mit Mundschutz vorm Gesicht. Hinten drauf haben sie je einen großen Tank geladen, wo lustige Totenköpfe draufgedruckt sind, mit hebräischer Schrift. Wahrscheinlich heißt es auf Deutsch: "Unser Wein ist so gut, mit dem kannst Dich echt totsaufen" - oder so?

Tel Lakhish ist wieder ein Hirbet, also ein früher Siedlungshügel, einst die zweitwichtigste Stadt im Königreich Judäa. Hatte auch den Kämpfern um Bar Kochba Unterschlupf gewährt. Habe genug Tels gesehen und marschiere mit einem anerkennenden Nicken vorbei.

Ich sehne mich nach einem normalen warmen Essen. Nach einem bezogenen Bett - und einer Dusche!!! Gibt es denn hier nix von der Sorte? Nur Zeltplätze ohne alles? Sogar in der Wüste war's zivilisierter.

Ich werde den Gedanken nicht los, dass die lustigen Michelinmännchen mit Mundschutz auf ihren Traktoren gar keine Pestizidschleuderer waren, sondern in Wirklichkeit mich nur äußerst diskret und gentlemanlike darauf hinweisen wollten, ich möge doch bitteschön wieder mal ein Bad nehmen...

Für's Mittagessen müssen ein Twix und das wunderbare Beduinenfladenbrot herhalten. Ich erinnere mich an den Schmäh meines russischen Freundes Alexander, der so ein ähnliches Fladenbrot ("Lavasch"), das wir uns als Grundlage für einen Umtrunk bei einem Armenier gekauft hatten, bezeichnet hatte als "armenisches Snickers".

Hinter den Weinbergen in der Ferne wird weiter scharf geschossen.






15:00 - Endlich angekommen in Bet Guvrin, dem heutigen Tagesziel! An Infrastruktur gibt es eine Tankstelle, kombiniert mit einem Restaurant. Dort stille ich meinen Bärenhunger mit einem Shawarma (= Döner), Pommes und einem großen Nahost-Hot-Dog (mit Salat, Hummus, Chilisoße etc - das muss wohl so sein). Dazu gibt's Arizona Ice Tea aus USA, XL Energy Drink und original Guarana-Limo aus Brasilien. Aaahh. Hab gar nicht gemerkt, dass ich die ganze Zeit so einen Appetit mit mir rumgeschleppt hatte.

Wieder sitzt die israelische Society um mich rum: Reservisten mit wilden Uniformen, zT mit zivilen Turnschuhen, ein Zivilist mit verdeckt getragener Pistole unter dem Pullover etc.
Viele Soldaten haben weder Dienstgradabzeichen noch Einheitsabzeichen oder sonstwas an der olivgrünen Uniform. Um als Soldat durchzugehen, braucht man offenbar nicht mehr als ein weißes T-Shirt, die abgewetzte grüne Kombi, und das war's.
So viele Waffen wie hier auch bei Zivilisten im Umlauf sind, da würd sicher keiner blöd schauen, wenn ich ebenfalls demonstrativ eine Glock im Gürtel stecken hätte.
Einmal hab ich mich mit israelischen Shvilisten unterhalten, warum denn in Israel keine Amokläufe oder ähnliche Gewaltverbrechen passieren wie in USA, obwohl pro Nase mindestens so viele Waffen in Umlauf sein dürften. Ihre einleuchtende Antwort: In Israel wird jeder Mann, jede Frau als Soldat zum korrekten Umgang mit der Waffe erzogen. Für Amis sind Waffen hingegen Spielzeuge, mit denen mal halt zum Spaß durch die Gegend ballert.

Ich bin wirklich grade ziemlich am Ende. Unausgeschlafen, ungewaschen, zu viele Nächte im Zelt, tagelang von Fertigpampe und Chips gelebt. Auf Nachfrage in der Tankstelle kriege ich ein paar Telefonnummern von Leuten in die Hand, die "Zimmer" vermieten (das heißt auf Hebräisch tatsächlich genau so!). Eine Dame mit dem schönen Namen Lionet ist eine Vermieterin, die mir ihr sündteures Gästezimmer vermietet und mich auch noch von der Tankstelle abholt. So, und jetzt geht's auf in die Zivilisation!

Die meisten israelischen Vornamen gefallen mir echt gut, zB. Nirit, Shira, Lionet etc.

Jetzt bin ich bereits eingecheckt im "Zimmer" - einem unglaublich stilvoll eingerichteten Ferienhäusl mit kompletter Küche, Whirlpool im Bad, Terrasse etc. Hab mich im Spiegel kaum mehr erkannt, als ich endlich wieder geduscht und rasiert war. Herrlich!

Das "Zimmer" liegt in einem "Moshav", 7 Autominuten vom INT. Ein Moshav ist offenbar so etwas wie ein Kibbutz, aber ohne Kommunismus. Also umzäunt, aber jedem gehört nur sein eigener Kram. So hab ich's verstanden.

Die beiden netten Hausherren werden mich morgen um 7:00 zurück zur Tankstelle fahren, wo sie mich aufgegabelt hatten. Dann wird weitergehatscht.

Die bayrischen Befreiungstruppen stehen bereits ca 60 km vor den Mauern der Heiligen Stadt - Deus lo vult!

227 km sind geschafft!

1 Kommentar:

  1. Autsch, mit der Nachruhe ist's ja nicht weit her... ich glaub diese Umstände sind härter als das Hatschen selbst. Überhaupt ist's eine rechte Herausforderung ohne Begleiter so lange unterwegs zu sein....

    Ultreia! Que el apostol te acompañe!

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