Donnerstag, 7. März 2013

5.3.2013, Tag 2 (Nazareth-Tag)


Bleibe noch eine Nacht im schönen Nazareth. Morgen geht's auf dem
Jesus Trail quer durch Galiläa, Richtung Kafarnaum. Und danach auf dem
Israel National Trail (INT) wohl bis nach Jerusalem. Oder evtl durch
die Negevwüste. Ist aber a bissi abenteuerlich, ohne Begleiter. Muss
noch überlegen.

Nazareth ist eine wirklich faszinierende Stadt! Jedes Haus wirkt so
alt als hätte es noch der Hl. Josef persönlich gebaut.

Heute war ein dermaßen ereignisreicher, spannender, lehrreicher und
tiefschürfender Tag in Nazareth, das war echt der Wahnsinn. Ich
fürchte, ich brauche den größten Teil der Nacht, wenn ich das jetzt -
im Bett liegend - alles aufschreibe.

Ich wohne im Hostel Fauzi Azar, das nach dem stadtbekannten Großvater
der Dame mit dem schönen Namen Suraida benannt ist, die hier
mittlerweile als Führerin arbeitet. 


Die Azars, eine christlich arabische Familie, sind schon seit Generationen die sozialen
Schwergewichte in Nazareth, entsprechend repräsentativ ist ihr
Stadthaus in der Altstadt mit bemalten Decken und hinreißenden
osmanischen Bögen im uralten Innenhof. 



Vom Familienhaus wäre aufgrund von Verfall, Enteignungen und Auswanderungsdruck unter israelischer
Herrschaft heute nicht mehr viel übrig, wenn nicht im Jahr 2005 ein
junger jüdischer Israeli, Maoz Inon - derjenige, der mit einem Ami
zusammen den Jesus Trail erfunden hat - mit einer unglaublichen Idee
daher gekommen wäre: Er wollte aus dem alten Stadtpalais eine Herberge
für Individualreisende (Backpacker, Trekker, Globetrotter, reisende
Paare) einrichten, um möglichst viele verschiedene Kulturen
zusammenzuführen und um dem darbenden Nazarener Tourismus wieder auf
die Beine zu helfen. Nazareth muss noch vor 10 Jahren ein furchtbar
trostloses Loch gewesen sein, ohne Straßenbeleuchtung, mit Müll
überall, mit kaum Geschäften, Gewalt und Drogensucht, absolut keine
Zukunft.

Wohlgemerkt sind so gut wie nie Juden in der Altstadt von Nazareth -
sie haben ihren eigenen Stadtteil, Ilid. Mit einem Juden hier
Geschäfte zu machen, das fiel absolut niemandem im Traum ein.



Suraidas Mutter dachte zunächst ebenso nicht im Traum daran, dem Juden
ihr Altstadtpalais zu vermieten. Irgendwann war Maoz dann doch mit
seiner Hartnäckigkeit am Ziel. Und nun floriert seine internationale
Herberge - und wertet durch die zusätzlichen Übernachtungstouristen
(die weitaus respektvoller und aufgeschlossener mit Einheimischen
interagieren als die Massen aus den Reisebussen) das ganze Viertel
gewaltig auf.

Wenn die Geschichte über Maoz so stimmt, dann hat die Errichtung der
Herberge eine riesige Wende für das darniederliegende Nazareth
bewirkt. Dann kann ich mir gut vorstellen, wie Nazareth in 5 Jahren
blühen wird. Offenbar eröffnet jede Woche eine Handvoll neue
Geschäfte, was nur durch die zusätzlichen Touristen möglich wurde.

Ich hab dann auch auf der vom Hostel veranstalteten Stadttour
mitgemacht, die eine Amerikanerin geführt hat. Herrlich verschont von
den üblichen touristischen Auswüchsen: Keiner der Händler bedrängt
oder nervt die Gäste, irgendwas zu kaufen. Nicht einmal gehandelt wird
hier (jeder kennt ja das berühmte Zitat aus Leben des Brian: "Willst
Du nicht feilschen?"). Und es soll kein Tourist während der langen
Führung u.a. durch die Geschäfte irgendwas kaufen. Damit die Führung
nicht zu lange dauert und damit keine Kommerz-Kaffeefahrt-Atmo
aufkommt. Die Touristen sollen, wenn sie wollen, die Geschäfte nach
der Tour erneut und gezielt aufsuchen. Sehr angenehm, dieses Konzept.



Ein Höhepunkt der Tour war die Weisse Moschee, die von Abdalla El Nini
gebaut wurde und nach wie vor von seinen Söhnen kontrolliert wird. Die
Familie gibt der Moschee seit jeher eine strikt tolerante, liberale
Linie vor. Die Predigten werden ihr jeweils vorab vorgelegt, damit
sichergestellt ist, dass darin keine anderen Religionen angegriffen
oder herabgewürdigt werden. Wo sieht man sonst im Nahen Osten solch
einen aufgeklärten, pluralismusfreundlichen Islam? Und das schon seit
Generationen.



Ich kann mir dennoch gut vorstellen, dass die ungetrübte Freiheit der
Religionsausübung durch Christen hier in Israel hauptsächlich
zurückgeht auf die Rolle der Israelis als Schutzherren. Wenn die
Hardliner unter den Moslems das Sagen hätten - wie im
bemitleidenswerten Gazastreifen - dann würde es auch hier heutzutage
zappenduster für christliche Kirchen. Das aber nur mein erster
Eindruck, der bestärkt wurde durch recht hetzerische große Schilder,
die direkt am unteren Ende der katholischen Verkündigungsbasilika
aufgestellt wurden und auf denen in mehreren Sprachen Koranverse
zitiert werden, wo es um die Unterwerfung und Konversion von Juden und
Christen geht. Das scheint allerdings ein Einzelfall zu sein.

Ich bin dennoch absolut beeindruckt, wie liberal die Moslems hier
eingestellt sind. Ich war auf eine Portion der legendären
Katayef-Pfannkuchen (mit Ziegenkäse bzw Nüssen gefüllt und mit Sirup
drüber) bei Abu Ashraf, einem über die Grenzen Nazareths hinaus
bekannten (moslemischen) Bäcker und Wirt und hab mich nach den -
umwerfenden - Pfannkuchen mit ihm unterhalten. Mein Eindruck aus
seinen Schilderungen ist, dass die Nazarener Araber ausnehmend gute
Beziehungen mit Juden haben, dass der gegenseitige Respekt sehr gross
ist und dass Freundschaften unter den beiden Gruppen möglich sind. Der
Schlüssel zum Verständnis scheint zu sein, sich weitestgehend aus
politischen Themen rauszuhalten und sich keinesfalls auf die eine oder
andere Seite ziehen zu lassen. Dies werde ich mir auch vornehmen auf
meiner Pilgerreise.



Werde morgen erstmals mein extra angeschafftes Palästinensertuch um
den Hals tragen. Als ortsüblichen Ersatz für mein seit Jahren
bewährtes Bundeswehr-Dreiecktuch. Dazu die Jakobsmuschel um den Hals,
die ich von meinem allerersten Camino de Santiago mitgebracht hatte -
von Doña Feliza, einer legendären uralten Dame (mittlerweile leider
verstorben), die tagaus, tagein am Ortsrand von Logroño gesessen und
die Pilger in einem großen Buch fein säuberlich registriert und mit
Wasser und Feigen aus dem eigenen Garten bewirtet hatte. Sie hatte
sogar das Recht, einen eigenen Pilgerstempel in die Pilgerausweise zu
drücken, mit dem Spruch: "Doña Feliza - Agua, Higas y Amor" (Wasser,
Feigen und Liebe). Die Kombination aus Palästinenser-Tuch ("Pali",
bzw. im militärischen Gebrauch "Shemagh" oder arabisch "Keffiye") mit
der Muschel wird mein offizielles Symbol und Outfit für meinen
Jerusalem-Pilgerweg.

Habe heute einen echten Arab-Junkfood-Tag eingelegt, mit Falafel und
(hervorragendem) Burger, nebst Abu Ashrafs gigantischen Pfannkuchen.
Mir läuft noch immer das Wasser im Mund zusammen, wenn ich dran denke.
Zwischendurch gab's immer wieder mal arabischen Kaffee, der so stark
ist, dass man in Deutschland wohl dafür eine Lizenz nach dem
Betäubungsmittelgesetzt bräuchte.

In einem Artikel über den seligen Märtyrer und Trappisten Charles de
Foucault habe ich eine Randnotiz gelesen, dass der Selige 3 Jahre lang
als Eremit im Garten der Klarissinnen-Schwestern in Nazareth gewohnt
hat. Ich habe mir stur in den Kopf gesetzt, dem Kloster dieses
heiligen Mannes einen Besuch abzustatten, ohne dass ich wußte, ob es
das Kloster überhaupt noch gibt und ob es dort was zu sehen gibt. Es
gibt! Die Schwestern haben im Garten einen Mini-Pavillon eingerichtet,
in dem sie verschiedene Kopfbedeckungen, Schriftstücke, Fotos und
sogar die Sandalen von Charles de Foucault ausgestellt haben. Sehr
beeindruckend. Und mich macht stolz, dass so gut wie niemand sonst auf
die Idee kommt, diesen Ort aufzusuchen. Und dass er sich als so schön
herausgestellt hat. Die (von der langen Klausur schon etwas mürrische)
Schwester, die mir den Schlüssel zum Pavillon gegeben hat, hat mir zum
Abschied sogar noch Gedenkkärtchen mit einem Bild von Charles de
Foucauld mitgegeben. In denen ist sogar etwas wie eine Reliquie
eingearbeitet. Sehr lieb.



Ich habe es auch geschafft, an einem Tag 2 Verkündigungskirchen zu
besuchen: Die katholische Basilika von Mariae Verkündigung und die
arabisch-orthodoxe Kirche St. Gabriel / Mariae Verkündigung. Wie so
oft im pragmatischen Nahen Osten müssen sich mehrere Konfessionen um
den einen authentischen biblischen Ort streiten. Die katholische
Kirche wurde auf einer uralten Grotte gebaut, vor der man sich
tatsächlich das Erscheinen des Erzengels vor Maria gut vorstellen
kann. Die Orthodoxen hingegen stützen ihren Verkündigungsort auf das
(apokryphe) Jakobusevangelium, in dem es heisst, dass den Engel Maria
beim Wasserholen, dh am Brunnen, erschienen sei. Deshalb erhebt sich
ihre wirklich wunderschöne Kirche über einem uralten und noch immer
fröhlich plätschernden Brunnen. Im Inneren verbreiten das dunkle Holz
der Ikonostase und die zahlreichen goldstrotzenden Ikonen eine
waschechte Oststimmung, wie in manchen Kirchen Russlands oder der
Ukraine, die ich während meiner Zeit dort lieben gelernt habe. Nur der
dunkle Chorgesang mit "GospodiGospodiGospodiiii" und die
Weihrauchschwaden haben gefehlt. Ich bin immer noch am Suchen, welche
Verhaltensweise in einer orthodoxen Kirche die angemessene ist.
Verbeugung? Kreuzzeichen? Nur kurzes Kopfneigen statt Verbeugung? Man
will ja Respekt zeigen, aber nichts falsch machen - es ist ja
schließlich immer noch ein "Auswärtsspiel".



Die katholische Basilika hingegen ist ein neuer Bau und strahlt nicht
dieses altehrwürdige Flair aus. Im Inneren traten sich dafür die
Reisegruppen aus Osteuropa (CEE) gegenseitig auf die Füße. Die Damen
trugen sogar Kopfschleier, was sie ja in einer katholischen Kirche
nicht tun müssen - aber so haben sie's gelernt.




Lustig sind die Madonnen-Mosaike, die jeweils einzelne Länder an der
Innenwand im Hof angebracht haben, jeweils mit Bezug zu den eigenen
Orten von Marienerscheinungen. Eines ist aus Deutschland, eines aus
Mexiko etc. - jeweils eines aus den unterschiedlichsten Ländern - nur
aus Spanien hängen dort ca 5 Mosaike: Zeugnis besonders vieler
Gastauftritte der Himmelskönigin im Land der Spanier? Oder Ausdruck
der regionalen Partikularismen in den doch recht selbstbewußten
Regionen? War natürlich klar, dass die nicht uneitlen Katalanen ein
eigenes Bild der Jungfrau von Montserrat aufhängen wollen, die
Valencianer wollen da nicht abseits stehen und machen es ähnlich, dann
sind aber auch noch die Andalusier da, die Leute aus Guadalupe etc
etc...

Kleines Jakobuswunder: Ich wurde für meine Entscheidung, erst morgen
loszupilgern, dadurch belohnt, dass es heute einen furchtbaren und
langen Platzregen gab. Genau der kam soeben runter blieb mir heute
damit auf dem Pilgerweg erspart.

Skurriles Zusammentreffen in den nächtlichens Straßen Nazareths: Ich
komme spät aus der Stadt zurück Richtung Hostel und laufe mitten in
eine neugierige Truppe schwarz angezogener junger Araber, die
verdächtig tatenlos in der Gasse abhängen und zu allem Überfluss auf
mich zu gehen. Ich habe mir blitzschnell gedacht: Auweia, das könnte
unangenehm werden. Die ersten Fragen, wo ich herkomme. Als "Almani",
als Deutscher, hatte ich dann doch schnell die Sympathie auf meiner
Seite. Einer der Jungs, ein echtes Sprachgenie, erzählte mir sein
halbes Leben in lupenreinem Deutsch. Ein paar Minuten später kam dann
auch noch die bildhübsche Mama des etwas schweigsameren Kollegen
vorbei und - so nehme ich an - erkundigte sich liebevoll lächelnd bei
ihrem Buben, ob er eh brav und artig ist. Wie süß!

Ins Bett ging ich dann mit der Vorstellung, dass Nazareth vielleicht
tatsächlich eine Insel der Seligen im umkämpften Palästina ist, ein
Ruhepol zwischen weniger friedvollen Gegenden.

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